Die Bischöfin von Rom
werde sich dadurch unweigerlich vergrößern. Denn ganz ohne Zweifel werde Rom, so es dieser verstockten Heidin tatsächlich gelinge, sich etwas anzumaßen, was ihr nach göttlichem Gesetz nie und nimmer zustehe, schrecklich unter solcher Aufsässigkeit des Weiblichen zu leiden haben!
Als ihr diese Hetztirade zugetragen wurde, hatte Branwyn unwillkürlich das Gefühl, als würde Acacius, den sie seit ihrer Rückkehr nicht mehr gesehen hatte, hinter den unsäglichen Anwürfen stecken. Dies sowie die Gemeinheit und Frauenverachtung des Patriarchats schmerzten sie, doch sie ließ sich dadurch nicht beirren. Vielmehr trat sie bei den Gemeindebesuchen an der Seite ihres Mitbewerbers Marcellus desto entschlossener für die Gleichberechtigung der Frauen in der Kirche ein – und erfuhr darin nicht nur von weiblichen, sondern auch von männlichen Gläubigen Zustimmung.
Dann schließlich kam der Tag, an dem die Entscheidung zwischen ihr und dem arianischen Priester fallen sollte, und am späten Morgen dieses letzten Junisonntags versammelten sich Tausende von Christen, denen ihre erwartungsvolle Spannung anzusehen war, auf dem Forum Romanum.
***
Helles Sonnenlicht überflutete den weiten Platz; über den Giebeln der umstehenden Gebäude schwirrten Schwärme aufgeregter Tauben, die sonst zwischen den Marktständen nach Nahrung zu suchen pflegten. Heute aber war kein Raum für sie auf dem ausgedehnten Areal; überall drängten sich die Menschen, die aus sämtlichen nichtkatholischen Kirchensprengeln der Stadt gekommen waren. Lediglich in der Mitte des Forums, unweit der Stelle, wo Branwyn einst den betrügerischen Reliquienhändler Paulinus Lupus entlarvt hatte, gab es eine kleine freie Fläche. Zwischen einigen einzeln stehenden Marmorsäulen war dort ein Podium errichtet worden: die Tribüne, auf der die Presbyterin von Sancta Maria und Marcellus, der arianische Priester aus dem Pincius-Viertel, sich nun gleich zur Wahl stellen würden.
So gut wie alle ihre Gemeindemitglieder hatten Branwyn das Geleit hierher gegeben; unmittelbar bevor sie Anstalten machte, das Podium zu besteigen, umarmte Angela sie und flüsterte ihr zu: »Ich wünschte so sehr, Calpurnia hätte diese Stunde noch erleben können! Sie wäre bestimmt mächtig stolz auf dich gewesen!«
Für einen Moment glaubte Branwyn, das gütige Antlitz der Verstorbenen vor sich zu sehen; gleich darauf hatte sie die Plattform erklommen. Marcellus, der bereits oben stand, lächelte sie an und drückte ihr die Hand; zahlreiche umstehende Gläubige brachen angesichts dieser Geste in Beifall aus – und verstummten wieder, als jetzt auch Silvia auf die Tribüne kam.
Die Presbyterin von Sancta Praxedis erklärte, daß beide Kandidaten zunächst noch einmal eine kurze Rede halten sollten; danach werde man zur Abstimmung schreiten. Kaum hatte sie dies bekanntgegeben, verkündete Marcellus, er wolle seiner Mitbewerberin Theodora, die er während der vergangenen Wochen sehr zu schätzen gelernt habe, den Vortritt lassen. Branwyn dankte ihm, dann richtete sie den Blick auf die Menge und begann mit klarer, weithin vernehmbarer Stimme zu sprechen.
Die junge Priesterin, die sich für den besonderen Anlaß nicht herausgeputzt hatte, aber gerade in ihrem einfachen Leinenkleid mit den weißen, roten und blauen Borten entzückend aussah, betonte eingangs das traditionelle Anrecht der Frauen, auf allen Ebenen des kirchlichen Lebens aktiv tätig zu sein und entsprechende Funktionen auszuüben. »Jesus«, rief sie aus, »forderte alle Menschen guten Willens auf, seine Lehre weiterzugeben. Er scharte sowohl Jüngerinnen als auch Jünger um sich und teilte das letzte Pessachmahl mit weiblichen und männlichen Gefährten. Im gleichen Geist des Miteinander handelte Petrus, als er in Rom weilte und im Haus des Pudens lebte. Er scheute keineswegs davor zurück, Pudentia und Praxedis, die Töchter des Senators, zu seinen Schülerinnen zu machen; diese Frauen waren es auch, welche später das Bethaus Petri zur ältesten christlichen Kirche der Stadt erweiterten. Paulus wiederum erwähnte in seinen Briefen ganz selbstverständlich Presbyterinnen, und in der Frühzeit des Glaubens hätte die Kirche ohne diese Frauen vermutlich gar nicht überdauern können!«
Branwyn wartete ab, bis sich der spontane Beifall ihrer Zuhörer gelegt hatte, und fuhr fort: »Wenn Liberius und seine Anhänger daher behaupten, nur Männer seien zur Ausübung geistlicher Ämter berechtigt, so stellen sie sich in
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