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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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Eine Weile stand sie wie betäubt da. Als sei alles erst gestern geschehen, stürmte die grausame Erinnerung auf sie ein: die Erinnerung an den schrecklichen Tod Dafydds und all der anderen Menschen, die ihr soviel bedeutet hatten.
    Sie fühlte, wie Tränen in ihre Augen schossen und ließ ihnen freien Lauf. Das Weinen erleichterte sie; schließlich fand sie die Kraft, am Strand entlang weiterzugehen: bis dorthin, wo ein kaum kenntlicher Pfad zwischen die Klippen führte. Sie kletterte zu der Grotte hinauf, in der sie Dafydd, dessen Eltern Mirjam und Dylann, die betagte Druidin Arawn, ihre mütterliche Freundin Kigva sowie Jacwb, den christlichen Priester, beigesetzt hatte. Die Steine, mit denen sie damals den Zugang zur Grabhöhle verbaut hatte, waren unangetastet; Branwyn berührte einen davon, sank langsam auf die Knie und verlor sich im Gedenken an die Toten.
    Lange verharrte sie so – plötzlich hörte sie ein Geräusch und fuhr herum. Angespannt spähte sie in den ziehenden Nebel; einige heftige Herzschläge später schälte sich eine verschwommene Gestalt aus den treibenden Schwaden.
    Branwyn erblickte einen großgewachsenen Mann; als er näherkam, erkannte sie, daß er etwa vierzig Jahre zählte. Sein gutgeschnittenes Antlitz mit den blaßblauen Augen und dem buschigen Schnurrbart wirkte intelligent; das dichte, brandrote Haar war am Hinterkopf zu einem Zopf gebunden.
    Jetzt blieb er abrupt stehen; auf seinem Gesicht malte sich ungläubiges Staunen. Dann sah Branwyn, wie sein Mund sich öffnete und seine Lippen lautlos ihren Namen formten; gleichzeitig rief sie seinen: »Eolo!«
    Im selben Moment liefen sie aufeinander zu, der Barde fing sie in seinen Armen auf; während sie an seiner Brust lag, schluchzte und stammelte sie vor Glück. Es dauerte lange, ehe sie sich beruhigte; endlich löste sie sich ein wenig von ihm, um von neuem den innigen Blickkontakt zu suchen. Sie empfand seine grenzenlose Zuneigung und verlor sich darin; irgendwann vernahm sie seine geflüsterten Worte: »Du bist ganz durchnäßt! Laß mich dich von hier wegbringen …«
    Unwillkürlich schaute Branwyn zur Grabgrotte. Auch Eolo wandte den Kopf; er wußte, was dieser Platz, den sie ihm auf ihrer gemeinsamen Wanderung einmal beschrieben hatte, für sie bedeutete. Dann spürte er, wie ihre Finger sich mit seinen verflochten, und hörte ihre Antwort: »Ja, wir wollen gehen!«
    Der Barde nahm sein Plaid ab, legte es um ihre Schultern und geleitete sie durch die Kliffs zurück zum Strand. Dort schlugen sie die Richtung zur Hafenbucht ein, wo ein Jahrzehnt zuvor die Schiffe der Piraten geankert hatten, und gelangten auf den Pfad, der sich von der kleinen, felsenumsäumten Förde zum Inselplateau emporschlängelte.
    Unterwegs gestand Eolo ihr: »Ich konnte dich nie vergessen; erst nach unserer Trennung wurde mir die ganze Tiefe meiner Liebe zu dir bewußt! Die Zeit, die ich in Tintagel verbrachte, war schrecklich. Ich sehnte mich so sehr nach dir; zuletzt konnte ich nicht anders, als nach Avalon zurückzukehren. In der Hoffnung, du hättest den Schmerz über den Verlust Dafydds mittlerweile überwunden, wollte ich dich bitten, meine Frau zu werden. Auf der Ynys Avallach jedoch traf ich dich nicht mehr an; daraufhin war ich drauf und dran, dir nach Rom zu folgen. Aber die Druidinnen beschworen mich im Namen der Göttin, in Britannien zu bleiben, und ich fügte mich, um dir bei der Erfüllung deiner hohen Aufgabe nicht im Wege zu stehen. Ratlos, was ich jetzt mit meinem Leben anfangen sollte, harrte ich noch einige Monate in Avalon aus. Eines Tages dann suchte mich Bendigeida auf und riet mir, nach Môn Mam Cymru heimzureisen. Es sei der Wille Ceridwens, daß ich dort ebenfalls eine wichtige Pflicht erfüllen solle; später könne es – vielleicht – zu einem Wiedersehen mit dir kommen. Ich befolgte den Rat der Pendruid; tatsächlich benötigten die Tudurs mich und mein Schwert dringend im Kampf gegen die Piraten, die von der Ynys Vytrin und der Lleyn-Halbinsel aus inzwischen ganz Gwynedd in Angst und Schrecken versetzten. Im Krieg gegen sie war ich einer der Anführer; im Herbst vor drei Jahren errangen wir den Sieg, und seither lebe ich auf diesem Eiland: der Gläsernen Insel, die einst auch deine Heimat war …«
    »Bendigeida, die sehr tief in die Seelen der Menschen blickt, sagte mir, ich würde dich hier finden«, flüsterte Branwyn. »Und nun, ich kann es noch immer kaum fassen, ist es wahrhaftig geschehen …«
    »Du …

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