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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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ihr sodann, auf bequeme Art bis Lutetia weiterzureisen.
    Schon Anno 356, kurz nach ihrem Abenteuer in Samarobriva, hatte sie sich in dieser nordgallischen Metropole mit ihrer teils keltischen, teils römischen Bevölkerung aufgehalten; nun verbrachte sie dort den Winter von 363 auf 364. Sie fand Unterkunft im reetgedeckten Rundhaus einer Fischerfamilie, das auf der kleineren der beiden dicht besiedelten Strominseln stand. Branwyn fühlte sich wohl bei ihren Gastgebern, trotzdem sehnte sie sich von Woche zu Woche stärker nach ihrer Heimat. Aber während der kalten Jahreszeit verkehrten keine Schiffe; erst nachdem die Frühjahrsstürme abgeflaut waren, gelang es ihr, einen Segler ausfindig zu machen, der eine Ladung kontinentaler Waren zur Halbinsel Kernow im Südwesten Britanniens bringen sollte.
    Als Branwyn an einem sonnigen Maitag im Hafen von Tintagel, dem Fürstensitz an der Nordküste Kernows, an Land ging, verspürte sie bebende Erregung, die nicht allein mit ihrer glücklichen Ankunft zu tun hatte. Während sie den steilen Pfad zur hoch oben auf den Klippen liegenden Ringwallfestung hinaufstieg, glaubte sie, das Antlitz Eolos vor sich zu sehen: des Barden, mit dem zusammen sie vom Eryri Gwyn zur Ynys Avallach gewandert war und den sie nie hatte vergessen können. Nach ihrem zärtlichen Abschied in jener Mondnacht am Ufer des Sees von Avalon war Eolo Goch nach Tintagel weitergezogen; Branwyn wußte, daß er auf Dauer am Hof der hiesigen Fürsten hatte bleiben wollen. Jetzt konnte sie es kaum erwarten, ihn wiederzusehen – doch nachdem sie in der Festung nach ihm gefragt hatte, erlebte sie eine bittere Enttäuschung. Der Barde, so erfuhr sie, war bereits vor Jahren wieder verschwunden, und niemand vermochte ihr zu sagen, wo er sich nun aufhielt.
    Daraufhin entschloß sich Branwyn, schon am folgenden Morgen zur Ynys Avallach aufzubrechen. Sie erreichte den See und das Eiland der Druidinnen Ende Mai; im selben Augenblick, da sie aus dem Curragh stieg, der sie zur Insel gebracht hatte, fühlte sie beglückt, wie die behütende Kraft der Dreifachen Göttin Ceridwen sie umfing.
    Beschwingt lief sie zum Apfelhain; kaum befand sie sich unter den blühenden Bäumen, hörte sie einen Freudenschrei. Gleich darauf rannte Dyara auf sie zu, lachend lagen die Freundinnen sich in den Armen; wenig später konnte Branwyn auch Bendigeida und die übrigen Frauen begrüßen. Einzig Alba, die im vorletzten Herbst verstorben war, fehlte; noch am Tag ihrer Ankunft suchte Branwyn das Grab der Ärztin auf und legte als letzten Gruß einen Blumenstrauß nieder. Am Abend dann richteten die Druidinnen zur Feier von Branwyns Rückkehr ein Fest aus und luden dazu auch Saray und Danyell ein: das Priesterehepaar, welches der christlichen Gemeinde des Eilands vorstand.
    Der Aufenthalt in Avalon, wo sie dasselbe Gästehaus wie vor neun Jahren bewohnte, tat Branwyn unendlich gut. Sie führte lange Gespräche mit Bendigeida oder Dyara, verbrachte viele Stunden bei Saray und Danyell und tauschte sich mit diesen Menschen, denen sie ganz wie früher uneingeschränkt vertrauen durfte, über ihre Erlebnisse in Rom aus. Branwyn erzählte, wie sie getauft und zur Presbyterin geweiht worden war, berichtete über ihren Aufstieg zur Episcopa und sprach ebenso über die Verbrechen des Patriarchats, dessen Bösartigkeit sie zuletzt um ein Haar das Leben gekostet hätte. Sowohl die Druidinnen als auch das Priesterehepaar urteilten, nachdem sie alles erfahren hatten, ähnlich wie Samira: Branwyn hatte ein unaustilgbares Zeichen gesetzt, die Erinnerung an ihren Kampf für das Gute würde bleiben, und noch in ferner Zukunft würde ihr Wirken den wahren Christen Hoffnung schenken.
    Bei anderen Gelegenheiten, wenn Branwyn auf dem Twr meditierte oder dem Rieseln der Heilquelle in der Nähe des Apfelgartens lauschte, glaubte sie die Stimme der Göttin zu vernehmen, die ihr dasselbe sagte; so fand sie endgültig zu innerem Frieden. Eines Nachmittags schließlich, als sie zusammen mit Bendigeida einen Spaziergang unternahm, brachte sie die Rede auf Eolo Goch, dessen Namen sie bislang höchstens beiläufig erwähnt hatte, und erkundigte sich, ob in Avalon irgend etwas über seinen Verbleib bekannt sei?
    Die Pendruid musterte die jüngere Frau an ihrer Seite mit ernstem Gesichtsausdruck, dann antwortete sie: »Ich ahnte, daß du mich irgendwann nach dem Barden fragen würdest, und will dir mitteilen, was ich weiß …«
    Während sie weitergingen, lauschte Branwyn

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