Die Bischöfin von Rom
den Worten Bendigeidas mit gespannter Aufmerksamkeit. In der darauffolgenden Nacht lag sie stundenlang wach; erst im Morgengrauen schlief sie ein, und am nächsten Tag wirkte sie auf seltsame Weise in sich gekehrt.
Das Jahr stand nunmehr in seiner Mitte; gemeinsam mit den Druidinnen beging Branwyn eine knappe Woche nach ihrem Gespräch mit Bendigeida das Sonnwendfest. Auf dem Twr loderte unter dem Sternenhimmel das hohe Feuer zu Ehren des lebenspendenden Gestirns und fand seinen Widerschein an verschiedenen Stellen drüben auf dem Festland. Als dort, auf einer eben noch dunklen Hügelkuppe, zwei Sonnenräder entzündet wurden, zu Tal rollten, sich dabei langsam annäherten und einander zuletzt wie im Traum berührten, fühlte Branwyn ein wehes Ziehen in der Brust; unvermittelt mußte sie an Eolo denken, und im nächsten Moment wurden ihre Augen feucht.
An die eineinhalb Monate blieb sie nach der Mittsommernacht noch in Avalon. Die Freundschaft zu Bendigeida, Dyara und den anderen hielt sie zurück, aber Anfang August spürte sie, daß der Zeitpunkt des Abschieds gekommen war. Branwyn verbrachte einen letzten Abend im Kreis der Druidinnen und des Priesterehepaares; früh am folgenden Morgen ruderte einer der Männer aus dem Inseldorf sie über den See.
Drei Tage wanderte sie nach Westen, bis sie zur breiten Mündung des Severn-Fjords gelangte und dort auf die Hafenstadt stieß, welche die Druidinnen ihr zur Weiterreise empfohlen hatten. Der Rat war gut gewesen, denn an einem der Kais lag eine Barke, die soeben beladen wurde, um ihre Handelswaren in den Norden Cymrus zu bringen. Der schnauzbärtige Kapitän erklärte sich gerne einverstanden, Branwyn als Fahrgast mitzunehmen; während der Fahrt nach Gwynedd, die nicht ganz zwei Wochen in Anspruch nahm, lernte sie ihn als einen grundanständigen, warmherzigen Menschen kennen und vertraute ihm deshalb einiges über die Beweggründe ihrer Reise an …
***
Jetzt – Branwyn löste sich abermals aus ihren Erinnerungen – war das Ziel dieser Reise beinahe erreicht. Dort drüben, mittlerweile nur noch wenige hundert Meter entfernt, lag das erst vor einigen Jahren erbaute Dorf, über das der Kapitän vorhin gesprochen hatte.
Schon waren Einzelheiten auszumachen; Branwyn sah mehrere Dutzend Rundhäuser, die sich am linken Ufer des in die See mündenden Flusses gruppierten. Jenseits der Ansiedlung stand dichter, sattgrüner Wald – derselbe Forst, den es auch damals schon gegeben hatte, als Branwyn nach ihrer Flucht im Curragh von der Ynys Vytrin genau hier an Land gegangen war. Über der Uferböschung des aus dem Gebirge herabströmenden Gewässers hatte sie ihr Lager aufgeschlagen und gehofft, irgendwo in dieser abgelegenen Gegend des Landes Gwynedd Hilfe zu finden. Doch sie hatte keine Menschenseele angetroffen, und so war sie weitergewandert: empor zum Massiv des Eryri Gwyn, wo ihr schließlich der Purpurreiher den Weg zu der verlassenen Wohnhöhle gewiesen hatte.
Im selben Moment, da sie daran dachte, hörte sie eine Reihe von Kommandorufen des Kapitäns. Die Segel wurden gerefft, die Fahrt der Barke verlangsamte sich; wenig später glitt das Schiff in die Flußmündung und warf Anker.
Für die Bewohner des Dorfes am Glaslyn war die Ankunft der Fremden, die seltene Handelswaren mit sich führten, ein höchst aufregendes Ereignis. Überschwenglich begrüßten sie die Besucher aus dem Süden Britanniens, dann wurden die Gäste zum Versammlungshaus geleitet und dort bewirtet. Der Kapitän und Branwyn erhielten Ehrenplätze neben dem Dorfältesten; als dieser feststellte, daß die rotblonde Frau an seiner Seite im Gegensatz zu den Seeleuten die Mundart von Gwynedd perfekt beherrschte, nahm er um so regeren Anteil an ihr. Branwyn teilte ihm einige Einzelheiten aus ihrem Leben mit; zuletzt, nachdem sie eine bestimmte Bitte geäußert hatte, versprach er, ihr zu helfen.
Anschließend erfuhr sie, wie es zur Gründung der Niederlassung im Frühling vor zwei Jahren gekommen war. Den Anstoß dazu hatte die fürstliche Familie der Tudurs gegeben, die von ihrer Hügelfestung Aberffraw aus die große Insel Man Mam Cymru weiter im Norden regierte. Dank ihrer tatkräftigen Unterstützung war es gelungen, das Dorf hier am Glaslyn zu errichten und Felder urbar zu machen. Dadurch hatten die Neusiedler, die allesamt von Môn Mam Cymru stammten, aber dort kein eigenes Land besessen hatten, ihr Los verbessern können; inzwischen sicherten Ackerbau und Fischfang ihnen einen
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