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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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lautete der einleitende Satz. Danach sprach Vater Jacwb von der Kraft der Agape, der Nächstenliebe, die imstande sei, Haß in Versöhnung, Finsternis in Licht und Tod in Wiederauferstehung zu verwandeln. Der fürsorgliche und barmherzige Geist, der sowohl dem alten Glauben der Kelten als auch dem Vermächtnis Christi innewohne, sei es, der das friedliche Zusammenleben von Getauften und Ungetauften auf dem Eiland möglich mache. Seit zwei Jahrhunderten schon habe sich dieses Miteinander auf der Ynys Vytrin für alle Familien, gleichgültig ob Heiden oder Christen, segensreich ausgewirkt. Die Türen der einen stünden jederzeit auch den anderen offen, freundschaftlich arbeite man zusammen und gemeinsam feiere man an diesem Tag das Erntedankfest, dessen anderer, älterer Name Lugnasad laute. Und weil dies so sei, könnten die Inselbewohner auch hoffnungsvoll in die Zukunft blicken; wenn nur die von Jesus gelehrte Agape, die sich mit Ceridwens bewahrender Liebe berühre, täglich neu gelebt werde, sei der Pfad dorthin licht.
    Mit diesen Worten schloß der Priester, und Branwyn konnte nicht anders, als den gütigen alten Mann abermals zu umarmen. Jacwb dankte es ihr und den anderen dadurch, daß er nun die Ungetauften einlud, die Kommunion mit den Getauften zu teilen. Nachdem sein Angebot breite Zustimmung gefunden hatte, knieten die beiden Ministranten vor ihm nieder, damit er den Brotlaib und den Krug mit dem Honigwein segnen konnte. Andächtig warteten die Dorfbewohner ab, bis das einfache Ritual beendet war. Dann wurde das Brot gebrochen, und alle Anwesenden bekamen ein Stück; ebenso ging anschließend das Trinkgefäß von Mund zu Mund.
    Wenig später wurde aber auch ein sehr viel älterer heidnischer Brauch vollzogen, dessen Leitung wiederum in den Händen der Quellhüterinnen lag. Denn die Frauen, die am Vortag mit geheimnisvollen Mienen an den Gemeinschaftsbacköfen zugange gewesen waren, brachten eine große, von einem Tuch bedeckte Korbschwinge sowie eine Hafergarbe zu Arawn, Kigva und Branwyn. Als die Backfrauen den Weidenkorb auf einem flachen Felsblock absetzten und das Ährenbündel danebenlegten, trat ringsum gespannte Stille ein. Mit ernsten Mienen blickten die Umstehenden auf Arawn, die jetzt langsam vortrat, sich bückte, das Leintuch wegzog und in den Korb griff.
    Als die Druidin sich wieder aufrichtete und die Arme hob, hielt sie einen sehr ungewöhnlichen Brotlaib in den Händen. Er erinnerte in seiner Form und mit den großen, leeren Augenhöhlen an einen Totenschädel ohne Unterkiefer; die fast schwarz gebrannte Kruste verstärkte den unheimlichen Eindruck noch.
    Tiefes Schweigen herrschte, während Arawn eine getragene Anrufung an Ceridwen in ihrer dritten Gestalt richtete. Branwyn, die direkt neben der alten Frau stand, fühlte Beklommenheit in sich aufsteigen; leise Furcht vor etwas, das nicht wirklich greifbar war. Auch die Dorfbewohner, Heiden wie Christen, schienen den Atem anzuhalten – gleich darauf jedoch löste sich die bedrückte Spannung, die sich über den Anger gelegt hatte. Denn nun barg die Druidin den Brotlaib mit der Linken an ihrer Brust, zupfte mit der Rechten drei Halme aus der Hafergarbe und steckte sie in den Scheitel des Totenschädels.
    Daraufhin brach lauter, erlöster Jubel los. Die Insulaner hatten die Symbolik von Arawns Handlungsweise begriffen: Die goldenen Ähren drückten unmißverständlich aus, daß sich dank der Güte der Dreifachen Göttin jeder Tod in neues Leben umwandelte – und diese Erkenntnis galt sowohl für die abgeernteten Früchte auf den Feldern, deren Samen für die nächste Aussaat bewahrt wurden, als auch für das menschliche Dasein in der Geborgenheit seiner Wiedergeburten.
    In einer gemeinsam gesungenen Hymne priesen die drei Frauen in den weißen, roten und schwarzen Kleidern die unerschöpfliche Gebärkraft Ceridwens. Anschließend versah Arawn auch die übrigen Brote mit den Getreidehalmen und verteilte sie. Jede Familie erhielt einen der Laibe mit der schwarzbraunen Kruste und den daraus sprießenden Ähren, um ihn den Herbst und Winter über in ihrem Rundhaus aufzubewahren. Die drei letzten Brotlaibe hingegen, welche die Druidin aus dem Korb nahm und schmückte, waren für einen anderen Zweck gedacht; sie sollten in einer Prozession zur Heiligen Quelle gebracht werden.
    Die Sonne stand bereits hoch, als die Dorfbewohner, an deren Spitze Arawn, Kigva und Branwyn schritten, den von Haselsträuchern und Birken umstandenen Born in der

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