Die Bischöfin von Rom
unhörbaren und dennoch unwiderstehlichen Ruf: den der Göttin.
Vom Grund des Heiligen Borns drang der drängende Ton herauf; für einen Augenblick glaubte sie, das vom Mond beschienene Gewässer aufwallen zu sehen; gleichzeitig erfüllte der Wille Ceridwens ihr ganzes Sein. Wie in Trance glitt sie von ihrem Lager, ertastete ein Kleid, schlüpfte hinein, zog sich die Schuhe an, fand ihr Plaid, warf es sich über die Schultern und verließ lautlos das Rundhaus.
Totenstill lag das Dorf da, über dem Walbuckel des Eilands hing die Sichel des Nachtgestirns. Sein unwirklicher, dünner Schein ließ den Pfad erahnen, der zur Schlucht führte, an deren Ende die Quelle der Dreifachen Göttin lag. Branwyn hastete den Berghang hinauf, passierte die Weggabelung, drang in die Kluft ein, kam im ersten Morgengrauen zu den Menhiren, welche den Zugang zum Felskessel bewachten, und fiel am Rand des Borns auf die Knie.
In dieser Stellung blickte sie direkt in das steinerne Becken; im schwarzen Wasser spiegelte sich zittrig die verblassende Mondsichel – einen Lidschlag später nahmen die Bilder, die sie in ihrem Alptraum gesehen hatte, im Strudeln der Quelle neuerlich Gestalt an. Wieder entstanden aus der Finsternis die vagen Schemen, irrlichterten und gewannen schärfere Umrisse: formten sich aus zu den Schattenrissen geblähter Segel und hoch aufragender Vordersteven großer Schiffe, die sich der Ynys Vytrin mit großer Geschwindigkeit näherten – und jetzt in die schmale Bucht unterhalb des Dorfes einliefen.
Dann, als sich ihr das ganze Grauen der Vision enthüllte, malte sich äußerstes Entsetzen in Branwyns Augen.
Die Barbaren
Ganz nahe vor sich sah Dafydd das lachende Antlitz Branwyns mit den strahlenden graublauen Augen. Die junge Frau, die er bald heiraten würde, lag beim Tanz in seinen Armen; dann und wann, wenn ein Luftzug es hochwehte, strich ihr langes seidiges Haar über seine Wange. Immer schneller drehten sie sich im Kreis, ließen sich von der Melodie der Fiedeln, Flöten und eines schnell geschlagenen Bodhrans treiben. Auf einmal aber war nur noch das Pochen der Trommel allein zu vernehmen, hart und unheildrohend – im nächsten Moment erwachte Dafydd und begriff, daß jemand gegen die Tür des Rundhauses hämmerte.
Rasch war er auf den Beinen, tastete sich durch den dunklen Raum, prallte gegen einen Schemel und zog den Türriegel zurück. Im unwirklichen Grau der Morgendämmerung erkannte Dafydd das Gesicht von Dai, eines verwitweten Fischers, der allein im Nachbarhaus wohnte und jetzt außer Atem hervorstieß: »Ich wollte in aller Frühe hinaus aufs Meer … Die Langustenkörbe nachsehen … Aber als ich zur Bucht kam, erblickte ich …«
Dai brach ab, schien plötzlich vor Erschöpfung zu taumeln. Dafydd packte ihn an der Schulter, rüttelte ihn und drängte: »Was sahst du?!«
»Um Gottes willen! Ist etwas passiert?!« hörte er unmittelbar darauf die verängstigte Stimme Mirjams in seinem Rücken.
Im selben Augenblick brach Dai zusammen – ungläubig starrte Dafydd auf den Pfeilschaft, der aus seinem Nacken ragte.
***
Wie gelähmt kniete Branwyn neben dem Born. Sie vermochte kein Glied zu bewegen, hilflos war sie der Flut der grauenhaften Bilder ausgeliefert.
In ihrer visionären Trance hatte sie die Schiffe, denen der Mond den Weg wies, in die schmale Bucht unterhalb des Dorfes einlaufen und dort ankern sehen. Sie war Zeugin geworden, wie die Horden der schwer bewaffneten Männer an Land gesprungen und – mit Ausnahme einer Nachhut, die am Strand blieb – sofort losgelaufen waren. Wenig später hatten sie die Ansiedlung, deren Bewohner ahnungslos schliefen, umzingelt – und jetzt, nach dem hinterhältigen Pfeilschuß auf Dai, war der Angriff in vollem Gange.
Der alte Fischer lag in seinem Blut; ein Krieger in lederner Brünne, der einen Helm mit Wisenthörnern trug und eine Streitaxt schwang, setzte über die Leiche hinweg und attackierte Dafydd. Mit bloßen Händen versuchte dieser, sich zu wehren und gleichzeitig Mirjam zurück ins Haus zu stoßen; das Kampfbeil streifte seine Schulter und fetzte einen armlangen Splitter aus dem Türpfosten. Mit wütendem Brüllen holte der Angreifer erneut aus; von der Seite hetzten jetzt zwei weitere Barbaren mit gezückten Schwertern heran.
Im Schock schrie Branwyn auf, prallte vom Quellbecken zurück und verlor das Bewußtsein. Als sie aus ihrer Ohnmacht erwachte, drang fahles Tageslicht in den Felskessel; silbergrau schimmerten die
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