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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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Stämme der Birken. Die junge Frau zwang sich dazu, abermals ins Wasser des Borns zu blicken, aber dort war nichts mehr als das leise Strudeln zu erkennen. Taumelnd, am ganzen Körper zitternd, kam Branwyn auf die Beine. Anfangs mußte sie noch gegen Wellen von Übelkeit ankämpfen, die durch ihren Körper fluteten; nach einer Weile fühlte sie sich kräftig genug, die Kluft zu verlassen.
    Sie rannte an den Menhiren vorbei, erreichte den Ausgang der Schlucht und schließlich die Weggabel, von wo sich der Blick ins Dorf öffnete. In ihrer Angst um Dafydd, seine Eltern, Kigva, Arawn, Jacwb und all die anderen war sie versucht, einfach weiterzulaufen. Doch etwas, das stärker war als ihre Panik, brachte sie dazu, sich in einer Ginsterhecke zu verstecken. Aus dem Schutz der Sträucher heraus spähte sie ins Tal – und begriff endgültig, daß die Schreckensbilder ihrer Vision die grausame Wirklichkeit widergespiegelt hatten.
    In der Bucht, die ein Stück westlich der Ansiedlung ins Land einschnitt, machte sie die Masten und hochgeschwungenen Steven dreier Segelschiffe aus. Im Dorf selbst brannten die Reetdächer mehrerer Gebäude; zwischen den Rundhäusern sah Branwyn zahlreiche verkrümmte Körper liegen. Auf dem Anger wurde soeben eine Schar wehrloser Menschen zusammengetrieben; die überlebenden Insulaner hatten keine Chance, sich zu wehren oder zu fliehen. Es mußten wenigstens hundert Raubkrieger auf der Ynys Vytrin gelandet sein: eine Piratenhorde, die von weither über die See gekommen war – ähnlich wie knapp zwei Jahrzehnte zuvor jene Barbaren, welche die Siedlung nahe Tre'r Ceiri auf dem Ostgipfel des Yr Eifl zerstört und die Bewohner erschlagen oder verschleppt hatten.
    Als Branwyn daran dachte, wurde der panische Drang, ungeachtet der Gefahr für ihr eigenes Leben den Berg hinunterzurennen und den Bedrohten beizuspringen, beinahe übermächtig. Die junge Frau mußte ihre ganze Willenskraft aufbieten, um dem irrationalen Verlangen nicht nachzugeben; zuletzt schaffte sie es, weiter zu beobachten.
    Soeben, während sich nun die ersten Strahlen der Morgensonne über den Walrücken des Eilands stahlen und die Talsenke in rötliches Licht tauchten, umringten die Raubkrieger ihre Gefangenen, die sie auf dem Platz beim Teich zusammengetrieben hatten. Zuerst war der Kreis, den die Piraten bildeten, noch locker, dann zog er sich plötzlich enger zusammen – unmittelbar darauf blitzte an vielen Stellen Metall auf. Branwyn glaubte, Schreie zu hören; gurgelnde Todesschreie, die aus den Kehlen der Niedergestochenen drangen. Es mußte sich um die Alten und Schwachen des Dorfes handeln; um diejenigen, welche in den Augen der Barbaren wertlos waren und deshalb ausgesondert und skrupellos hingeschlachtet wurden.
    Branwyn hatte die Faust in den Mund gepreßt und biß sich vor Entsetzen auf die Knöchel. Dennoch konnte sie den Blick nicht abwenden; erst nachdem alles vorbei war und man die Leichen ein Stück beiseite geschleppt hatte, grub sie das Gesicht in die Erde, um so ihr Schluchzen zu unterdrücken.
    Als sie den Kopf wieder hob, erkannte sie, daß die Überlebenden – noch ungefähr dreißig Männer, Frauen und Kinder – gefesselt und zu einem der unversehrten Häuser gebracht wurden. Einige der Raubkrieger bezogen Posten vor dem Eingang, die anderen drangen in die benachbarten, nicht abgebrannten Gebäude ein, kamen mit Beute beladen zurück und versammelten sich neuerlich auf dem Anger. Bald war das Grölen der Piraten, die ihren schmutzigen Sieg jetzt mit einem Gelage feierten, bis zur Weggabelung herauf zu vernehmen.
    Es dauerte lange, ehe Branwyn nach all dem Grauenhaften, das auf sie eingestürmt war, einen klaren Gedanken zu fassen vermochte. Dann, als sie dazu in der Lage war, empfand sie nur den einen Wunsch: denen, die gebunden im Rundhaus lagen, auf irgendeine Weise zu helfen. Zu diesem Zweck mußte sie näher an die Ansiedlung herankommen, aber auf dem Fußpfad, der vom Dorf aus eingesehen werden konnte, war das unmöglich. Nur wenn es ihr gelang, den Hang unbemerkt zu überqueren, zum Strand hinunterzuklettern und sich entlang der Klippen anzuschleichen, konnte sie es schaffen. Irgendwo in der Nähe der Häuser mußte sie ein Versteck finden und bis Einbruch der Dunkelheit ausharren. Im Schutz der Nacht würde sie sodann versuchen, zu den Gefangenen zu schleichen und sie zu befreien.
    Sie hoffte inständig, daß Dafydd, der jung und deshalb für die Raubkrieger wertvoll war, sich unter den

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