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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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und zwängte sich zuletzt unter einen halb gekippten Felsblock, wo dicht wucherndes Heidekraut sie zusätzlich schützte. Wieder rief einer der Männer am Teich etwas; die Worte klangen ähnlich wie das Kimmerische, das in Gwynedd gesprochen wurde, besaßen aber eine rauhere Lautfärbung, die der jungen Frau nun verriet, woher die Piraten kamen. Es mußte sich um Galen aus Irland handeln: um Angehörige eines der wilden Stämme dort, die von der druidischen Lehre abgefallen und überall im Westen Britanniens gefürchtet waren.
    Die vielen Toten, die man zu einem etwas abseits stehenden niedergebrannten Gebäude geschleppt hatte, zeugten von der unsäglichen Menschenverachtung der Barbaren – und jetzt, da dieser Gedanke durch Branwyns Kopf schoß, wurde ihr auch klar, daß sie dem, was sie bisher angstvoll vermieden hatte, nicht länger ausweichen konnte: die Ermordeten genauer zu mustern, um womöglich ihre Gesichter zu erkennen.
    Der Blickwinkel war allerdings ungünstig; zwischen dem Versteck unter dem Felsen und den Erschlagenen lärmte ein Teil der Raubkrieger, und auch die rußgeschwärzte Wand des zerstörten Hauses behinderte die Sicht. So konnte Branwyn lediglich fünf der hingeschlachteten Dorfbewohner identifizieren: vier ältere Frauen – jedoch nicht Arawn oder Mirjam – sowie Dai, den Fischer, den sie schon während ihrer Trance in seinem Blut hatte liegen sehen. Die Köpfe aller anderen waren verdeckt, nur ihre Zahl ließ sich ungefähr feststellen: an die dreißig Menschen, die der Mordlust der Galen zum Opfer gefallen waren.
    Branwyn wandte sich ab. Tränen brannten in ihren Augen, unterdrücktes Schluchzen würgte sie; ärger denn je peinigte sie die Ungewißheit über das Schicksal derjenigen, die ihr am meisten bedeuteten. Wieder, wie schon am Morgen dieses schrecklichen Tages, mußte sie mit aller Kraft gegen das Verlangen ankämpfen, einfach aufzuspringen und zum Dorf zu rennen. Verzweifelt hämmerte sie sich ein, daß sie vor Einbruch der Nacht nichts unternehmen durfte; erst dann, wenn überhaupt, hätte sie eine Chance, zumindest Dafydd und Kigva in dem Gebäude zu finden, in das man die Gefangenen getrieben hatte …
    Sie erschrak, als das Gebrüll auf dem Anger unvermittelt lauter wurde. Zwei angetrunkene Piraten waren in Streit geraten, hemmungslos beschimpften sie sich, und im nächsten Moment gingen sie mit Fäusten aufeinander los. Ein brutaler Hieb ließ den Kleineren zurücktaumeln, rasend vor Zorn riß er sein Schwert aus der Scheide. Einen Lidschlag später hatte auch der andere seine Klinge gezückt, Eisen klirrte gegen Eisen. Mit gellenden Zurufen stachelten die übrigen Barbaren die Wut der Kämpfer immer mehr an; schon sah es so aus, als würde die Auseinandersetzung zu einem Duell auf Leben und Tod ausufern. Doch ehe es tatsächlich so weit kommen konnte, trennte der Anführer der Horde die beiden außer Rand und Band geratenen Krieger – als sie sich gerade geduckt belauerten, schleuderte er seinen Speer zwischen sie und rief den Zurückfahrenden einen scharfen Befehl zu.
    Der Größere stieß einen Fluch aus, senkte aber dann die Waffe und ließ sich von einem der Umstehenden ein Trinkhorn aufdrängen. Der Kleinere hingegen, der den Schwertkampf begonnen hatte, war weniger leicht zu beruhigen. Immer noch schäumend vor Grimm, wollte er sich jetzt offenbar mit dem Häuptling anlegen; erst als dieser drohend seine Streitaxt hob, wich er zurück und machte seinem Groll auf andere Weise Luft. Unversehens zerrte er den Bogen, den er quer auf dem Rücken trug, über die Schulter, holte einen Pfeil aus dem Köcher und schnellte ihn unter bösartigem Lachen ab. Das Geschoß fiederte dorthin, wo die Leichen der Dorfbewohner lagen, und bohrte sich in einen der verkrümmten Körper. Gleich darauf, nachdem sie ihre erste Verblüffung überwunden hatten, johlten die übrigen Raubkrieger begeistert auf, griffen ebenfalls nach ihren Bögen und spickten die Toten mit Pfeilen.
    Wie gelähmt vor Abscheu wurde Branwyn Zeugin des Leichenfrevels. Sie konnte in den Galen nicht länger Menschen, sondern nur noch zutiefst abstoßende Kreaturen sehen; Ausgeburten des Widergöttlichen, die alles zerstört hatten, was auf der Ynys Vytrin im Geist der Liebe und des Miteinander aufgebaut worden war. Und jetzt brüllten sie dem, der als erster geschossen hatte, ihre Anerkennung zu; zwei der Barbaren hoben ihn auf die Schultern und trugen ihn ein Stück über den Anger. Lachend genoß der Pirat

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