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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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Balkengerüst; als Branwyns Blick auf einen harzverklebten Topf fiel, in dem ein Spatel steckte, begriff sie, daß irgend jemand eine Reparatur an dem Curragh vorgenommen haben mußte. Tatsächlich entdeckte sie am Heck des Bootes eine frische Lederbahn; im nächsten Moment wurde ihr bewußt, was das für sie bedeutete: Sie war auf das einzige seetüchtige Fahrzeug der Ynys Vytrin gestoßen, das nicht in der von den Piraten bewachten Hafenbucht unterhalb der Ansiedlung lag.
    Beinahe zärtlich berührte Branwyn den Curragh, dann drückte sie sich an dem Bootskörper vorbei, um die Hütte rasch, aber gründlich zu durchsuchen. Und abermals hatte sie Glück; bei einem Bündel von Angelschnüren, die auf einem Bord an der Rückseite des Raumes lagen, fand sie ein scharfes Messer mit Horngriff. Sie steckte beides zu sich, huschte zurück ins Freie und schob die Lade wieder vor die Türöffnung. Draußen kauerte sie sich hinter einen Steinblock und spähte zum Strand hinunter. Nachdem sie sicher war, allein zu sein, überlegte sie, wie sie weiter vorgehen sollte.
    Die Bucht am Ansatz des Walschwanzes der Ynys Vytrin, wo die Schiffe der Raubkrieger ankerten, war höchstens dreihundert Schritte entfernt; es bestand also größte Gefahr, wenn sie sich noch näher heranwagte. Andererseits konnte sie nur entlang der schluchtartigen Hafenbucht hinauf zum Dorf gelangen, denn an allen anderen Seiten war die Ansiedlung von offenen Heideflächen oder bereits abgeernteten Feldern umgeben, die ihr keinerlei Deckung bieten würden. Damit – Branwyn mochte es drehen und wenden wie sie wollte – blieb tatsächlich nur der Weg, der sie bis auf einen Steinwurf an die Piratenschiffe heranbringen mußte: der halsbrecherische Pfad, der sich unmittelbar über dem kleinen Hafenfjord durch die Klippen schlängelte.
    Nachdem sie ihren Entschluß gefaßt hatte, verlor die junge Frau keine Zeit mehr. Sie stieg wieder zum Sockel der Felsen hinab und kämpfte sich wie zuvor über den schmalen Strandstreifen voran. Wo immer sich die Gelegenheit dazu bot, nutzte sie den Schutz der Riffs; ununterbrochen beobachtete sie das niedrige Vorgebirge, hinter dem die Masten der Segelschiffe emporragten. Einmal, als dort drüben ein Schwarm Möwen aufschwirrte, floh sie in eine Gesteinsspalte und preßte sich gegen den nassen Fels, bis sie gewiß sein konnte, daß lediglich ein harmloser Anlaß die Vögel gestört hatte. Geduckt schlich sie weiter; schließlich erreichte sie die Stelle, wo sich der Zugang zum Kletterpfad befand.
    Die Schiffsmasten schienen jetzt zum Greifen nah. An einem erkannte Branwyn ein barbarisches Emblem: den skelettierten und rot bemalten Schädel eines Wisents. Ihr Herz begann zu jagen; erneut glaubte sie den Krieger mit den Büffelhörnern am Helm vor sich zu sehen, der die Streitaxt gegen Dafydd geschwungen hatte. Mühsam verdrängte sie das beklemmende Bild, holte tief Luft und machte sich an den Aufstieg.
    Zunächst ging es seitlich eines kantigen Grates steil nach oben, etwa zehn Fuß über dem Strand begann der eigentliche Steig. Kaum sichtbar, zumeist nicht mehr als eine Elle breit und immer wieder jäh die Richtung wechselnd, zog er sich am äußeren Rand des Schieferkammes über der Bucht entlang und wand sich so bis zur Höhe der Ansiedlung hinauf. Manchmal fand Branwyn Halt an der Felswand zu ihrer Rechten; anderswo brachen die Schroffen zu beiden Seiten fast senkrecht ab, so daß sie nur noch kriechend vorwärts kam. Ständig mußte sie darauf achten, nicht von den Wächtern bei den Schiffen bemerkt zu werden, die sie nun gelegentlich ausmachen konnte. Es handelte sich um ein halbes Dutzend Piraten, und wenn diese Männer sie entdeckten, würde sie sich augenblicklich einem Pfeilhagel ausgesetzt sehen.
    Endlich durfte sich die junge Frau sagen, daß sie außer Schußweite war, doch die Gefahr, abzurutschen und in die Tiefe zu stürzen, blieb bestehen. Erst als der Pfad bei einem Trümmerfeld am Ausläufer der Talmulde, in welcher das Dorf lag, endete, wich die körperliche Anspannung von Branwyn – nicht so jedoch ihr innerer Aufruhr, denn jetzt blickte sie aus der Deckung der wirr durcheinandergeworfenen Steinbrocken zum Anger hinüber, wo das Gros der Raubkrieger lagerte.
    Die Entfernung dorthin betrug nur rund hundert Schritte; Branwyn vermochte die Gesichter der Barbaren zu unterscheiden und glaubte sogar, einzelne laut herausgegrölte Sätze zu verstehen. Vorsichtig arbeitete sie sich noch ein Stück näher heran

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