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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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Auseinandersetzung zu geben. Aufgrund einzelner Satzfetzen, die sie aufschnappen konnte, bekam Branwyn mit, worum es diesmal ging: um die überlebenden Dorfbewohner, die man am Morgen in das Rundhaus getrieben hatte.
    Schließlich setzte der Anführer sich durch und ordnete brüllend an: »Es geschieht so, wie ich will! Die Männer, Weiber und Kinder werden jetzt gleich auf das Schiff meines Bruders gebracht, und er soll unverzüglich nach Gallien segeln! Auf den römischen Sklavenmärkten dort bringen die Gefangenen hohen Gewinn, mit dem Gold können sodann zusätzliche Krieger angeworben werden! Die aber werden uns von sehr großem Nutzen sein, wenn wir diese Insel erst zu einem Stützpunkt ausgebaut haben, um von hier aus weitere Beutefahrten zu unternehmen!«
    Kaum hatte Branwyn die Sätze vernommen, wurde ihr klar, daß sie nichts mehr für die Menschen im Rundhaus tun konnte. Einzig im Dunkel der Nacht hätte sie einen Befreiungsversuch wagen können, aber nun, nach dem Befehl des Häuptlings, war auch diese Hoffnung verloren. Statt dessen mußte sie jetzt mit ansehen, wie eine starke Schar der Raubkrieger in das Gebäude eindrang und die Gefesselten mit gezückten Waffen ins Freie trieb. Selbst die Kleinsten waren gebunden; Branwyn zerbiß sich die Lippen, um nicht laut herauszuschreien, als sie sich vorstellte, welch schreckliches Los diese Kinder erwartete. Und dann beobachtete sie, wie die Gefangenen unter strenger Bewachung den Pfad hinunterstolperten, der zur Hafenbucht führte; den Weg, der in äußerster Erniedrigung enden würde.
    Die Sonne hatte mittlerweile ihren Zenit überschritten; heiß brannte sie in die Spalte unter dem Felsen, wo die junge Frau sich verkrochen hatte. Doch Branwyn spürte die Hitze nicht; das seelische Leid, das sie ertragen mußte, machte sie unempfindlich gegenüber allem anderen. Auch ihr Zeitgefühl schien betroffen. Eben noch hatte sie gesehen, wie die künftigen Sklaven verschwunden waren; jetzt plötzlich hing der Sonnenball mindestens eine Elle tiefer am Firmament; draußen auf dem Meer segelte das Schiff, das die Gefangenen an Bord genommen hatte, nach Süden. Wieder versank Branwyn in dumpfe Betäubung; als sie abermals aufschreckte, legten sich bereits die Schatten der Abenddämmerung über die Ynys Vytrin – und angesichts dessen gewann die junge Frau ihre Spannkraft zurück.
    Sie spähte zum Teich, wo die Piraten noch immer lärmten. Etwa sechzig waren auf dem Eiland geblieben; die meisten von ihnen wirkten inzwischen schwer betrunken, ungefähr ein Dutzend schlief betäubt auf der nackten Erde. Einmal mehr verspürte Branwyn tiefe Abscheu; gleichzeitig durfte sie sich aber sagen, daß sich ihre Fluchtchancen aufgrund des Zustandes der Männer verbessert hatten.
    Die junge Frau wartete einen günstigen Moment ab, dann robbte sie aus ihrem Versteck. Zunächst prickelten ihre Glieder bei jeder Bewegung schmerzhaft, sie waren durch das lange Liegen unter dem Felsblock taub geworden. Doch schnell löste sich die Verkrampfung; Branwyn huschte geduckt durch das Trümmerfeld am Ausläufer der Talmulde und erreichte den Steig, den sie am Vormittag vom Strand heraufgeklettert war. Jetzt lag der Schieferkamm, der sich entlang der Hafenbucht in die Tiefe zog, im Zwielicht vor ihr – der Abstieg würde ungleich schwieriger werden als der Herweg im Tageslicht.
    Entschlossen verdrängte die junge Frau diesen Gedanken und konzentrierte sich ganz auf den gefährlichen Pfad. Anfangs konnte sie die Stellen, wohin sie die Füße setzen mußte, noch einigermaßen erkennen; später, als die Dunkelheit sich verstärkte, mußte sie sich zunehmend auf ihren Tastsinn verlassen. Besonders schlimm waren die Abschnitte, wo die Schroffen links und rechts von ihr fast senkrecht abfielen; Zoll um Zoll kämpfte sie sich dort voran und unterdrückte mühsam die Panik, die in ihr aufsteigen wollte. Auf dem letzten Stück schließlich wurde es ein wenig leichter; die Nacht war mittlerweile ganz hereingebrochen, vom wolkenlosen Himmel strahlten die Sterne, und schräg über der Lleyn-Halbinsel stand nun der Mond.
    Auf dem schmalen Strandstreifen zu Füßen der Kliffs ging Branwyn erschöpft in die Knie, doch augenblicklich war sie wieder auf den Beinen. Denn nur einen Steinwurf entfernt spiegelte sich blutroter Flammenschein auf dem Wasser wider; er stammte von einem Lagerfeuer, das die Wächter bei den beiden in der Hafenbucht verbliebenen Schiffen unterhielten. Schon die ganze Zeit über hatte

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