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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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Hingabe, sie spürte es, würde sie von nun an befähigen, sich dem Unabänderlichen bewußt zu stellen. Zwar würden die grauenhaften Erinnerungen und der Schmerz für immer in ihr sein, aber sie konnte lernen, damit zu leben. Das war es, was die Göttin von ihr erwartete; Ceridwen, die sie durch ihr Eingreifen am Yr Eifl und dann abermals auf der Ynys Vytrin behütet hatte. Nach wie vor verstand die junge Frau nicht, warum allein sie verschont worden war, doch sie war sich jetzt sicher, daß es einen verborgenen Sinn geben mußte, und vielleicht würde irgendwann der Tag kommen, da er sich ihr entschlüsselte …
    So wird es sein! Du wirst die Antwort bekommen!
    Noch einmal vernahm Branwyn die lautlose Stimme: aus einem silbern im Mondlicht aufrauschenden Wasserwirbel, dem glutroten Schein des Feuers und der unergründlichen Schwärze des Waldes heraus. Gleichzeitig schien Wärme, die nicht von den Flammen allein kam, die junge Frau einzuhüllen. Betäubende Müdigkeit erfüllte sie; dann, im tiefen, ungestörten Schlaf, wurde ihr Vergessen geschenkt.
    ***
    Am nächsten Morgen versuchte Branwyn ihr Glück mit einer der Angelschnüre, die sie in der Fischerhütte auf der Ynys Vytrin zu sich gesteckt hatte. Beinahe im Handumdrehen biß eine fette Forelle an; die junge Frau briet sie und hatte damit zum ersten Mal seit Tagen wieder eine warme Mahlzeit. Danach entschloß sie sich, einen Streifzug weiter ins Landesinnere zu unternehmen; möglicherweise würde sie irgendwo auf eine menschliche Ansiedlung stoßen.
    Den ganzen Vormittag folgte sie dem Flußtal nach Norden. Teilweise kam sie entlang der Uferauen gut voran, an anderen Stellen mußte sie über Felsen klettern oder sich ihren Weg über steil abfallende Hänge suchen. Sie kreuzte zahlreiche Wildfährten, einmal sogar die Spur eines Bären, und sah ein andermal ein Adlerpaar über einer Gebirgsschroffe in der Ferne kreisen. Aber nirgendwo stieß sie auf Zeichen, daß in dieser Gegend Menschen lebten; der Bergwald schien, zumindest entlang des vom Massiv des Eryri Gwyn herabströmenden Gewässers, völlig unberührt. Als die Sonne ihren Höchststand erreicht hatte, rastete Branwyn nahe einer Reihe von Klippen im Flußbett, über die das Wasser in wilden Kaskaden herabschäumte. Auch hier gab es Brombeeren; nachdem die junge Frau sich gesättigt hatte, trat sie den Rückweg an und erreichte ihren Lagerplatz rechtzeitig vor Sonnenuntergang wieder.
    Erneut sammelte Branwyn Feuerholz; ebenso wie in der vorangegangenen Nacht schlief sie ruhig und traumlos. Am folgenden Tag ging sie abermals los, hielt sich diesmal aber in nordwestlicher Richtung. Sie stieg über einen bewaldeten Höhenrücken; dahinter lag eine feuchte Niederung, in der ganze Wiesen von Riesenfarn gediehen. Jenseits schwangen sich die Hänge steil empor; bald machte der Bergwald, der hier schütterer wirkte, Niederholz und dann Heidekraut und vereinzelten Fuchsiensträuchern Platz. Schließlich gelangte die junge Frau zu einem weiten Kar, das sich gleich einem Gürtel quer über einen Bergkegel zog; noch ein Stück weiter oben lag in einer Senke ein Teich. Nach einer anstrengenden Kletterpartie über das Geröllfeld langte Branwyn bei ihm an; durstig genoß sie das kühle Wasser und spähte sodann in die Runde. Doch auch von hier aus konnte sie nichts entdecken, was auf eine Siedlung hingedeutet hätte: kein Rauchkräuseln irgendwo in der Landschaft; kein Schafrudel an einem der Hänge ringsum, die als Weideland geeignet gewesen wären; keine Rodungsinsel tiefer unten in den horizontweit sich ausbreitenden Wäldern.
    Das Gefühl unendlicher Einsamkeit befiel sie – und ähnlich empfand sie auch während der nächsten Tage, in denen sie das Land nach verschiedenen Richtungen hin durchstreifte. Zuletzt mußte sie einsehen, daß sie völlig auf sich gestellt war; zumindest hier in der Gegend nahe der Küste, die sie auf ihren Tagesmärschen erforscht hatte. Anders konnte es sich freilich weiter im Landesinneren verhalten; deshalb beschloß Branwyn, eine mehrtägige Wanderung nach Norden zu unternehmen. Sie entschied sich auch deswegen so, weil sich jetzt bereits der Herbst ankündigte und sie zunehmend der Gedanke ängstigte, die kalte Jahreszeit allein überstehen zu müssen.
    An den Abenden am Feuer hatte sie einige Ausrüstungsgegenstände angefertigt. Sie besaß jetzt eine Basttasche, in der sie Nahrungsmittel unterbringen konnte, und ihr Messer steckte in einer Scheide aus dem Balg eines von

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