Die Bischöfin von Rom
zum Curragh zurück und trug ihn zum Strand. Wenig später folgte sie der Küstenlinie der Lleyn-Halbinsel weiter nach Nordosten; zuerst noch im Zwielicht des scheidenden Tages, dann neuerlich unter dem Schein des Mondes und der Sterne. Ab und zu, wenn sie Müdigkeit verspürte, zerkaute sie ein paar Schlehen; das saure Ziehen in ihrem Gaumen half ihr, wach zu bleiben und auch diesmal wieder bis zum Morgen durchzuhalten.
Als die Sonnenscheibe aus dem Meer auftauchte, traute Branwyn ihren Augen nicht. Die Gipfel des Eryri Gwyn, die am Abend noch so weit entfernt gewesen waren, schienen jetzt zum Greifen nahegerückt zu sein. Das Licht sprühte über ihre Grate und ließ sie in beinahe andersweltlicher Schönheit schimmern; tiefer an den Bergflanken und in den Tälern schwebten feine Dunstschleier über dem Dunkelgrün der Wälder. Lange vermochte die junge Frau den Blick nicht loszureißen; erst als das Boot in eine Kreuzsee geriet und zu trudeln begann, besann sie sich und spähte nun zum Strand hinüber, um eine Stelle ausfindig zu machen, wo sie an Land gehen konnte.
Diesmal schlug sie ihr Lager inmitten eines Fleckens Heidekraut oberhalb der Flutlinie auf. Während sie es tat und anschließend erneut nach Wasser und Nahrung suchte, sagte sie sich, daß ihr mittlerweile wohl kaum noch Gefahr von den Raubkriegern drohte. Infolgedessen würde sie keine weitere Nacht auf See verbringen müssen; vielmehr konnte sie die Stelle, wo die Lleyn-Halbinsel auf das Festland traf, möglicherweise sogar bis zum Abend erreichen, sofern sie heute nicht so lange wie gestern schlief. Wenig später lag sie unter dem Curragh; tatsächlich erwachte sie noch vor der Tagesmitte und setzte ihre Fahrt im hellen Sonnenschein fort.
Branwyn paddelte zügig und ohne Pause; nachdem sie eine Weile auf dem Meer war, kam Westwind auf und unterstützte das Vorwärtskommen des Bootes entlang der Küste, die nun direkt nach Osten verlief. Dann, im letzten Drittel des Nachmittags, öffnete sich vor dem Curragh eine fjordartige Bucht, die tief ins Landesinnere einschnitt. Unmittelbar dahinter zogen sich die Ausläufer des Bergmassivs von Eryri Gwyn bis zum Strand hinunter, und am äußersten Ende der Förde mündete ein Fluß.
Die junge Frau steuerte das Boot dorthin; als sie nur noch ein paar Steinwürfe entfernt war, bemerkte sie eine Reiherkolonie in den Kronen der Uferbäume. Die Anwesenheit der großen Vögel bewies, daß das aus den Bergen herabströmende Gewässer sehr fischreich sein mußte – und kaum hatte Branwyn den Curragh ein Stück flußaufwärts an Land gezogen, gewahrte sie oben auf dem Uferhang eine Brombeerhecke. Sie kletterte hinauf, sättigte sich an den süßen Beeren und durfte gewiß sein, auch während der nächsten Tage nicht hungern zu müssen.
Kurz vor Sonnenuntergang war Branwyn angelangt; bis Einbruch der Nacht blieb ihr gerade noch genügend Zeit, um neben dem gekippten Boot eine Feuerstelle aus Steinen zu bauen, mehrere Arme voll Brennholz zu sammeln sowie einen vertrockneten Baumschwamm zu suchen. Im letzten Tageslicht schnitzte sie eine Handvoll Späne von einem der Äste, schichtete sie locker über den zerdrückten Schwamm und schlug dann mit Hilfe der Messerklinge Funken aus einem Flintstein, den sie an ihrem letzten Lagerplatz entdeckt und zu sich gesteckt hatte. Es dauerte eine Weile, doch schließlich fraß sich die Glut in den Zunder und brachte ihn zum Glimmen; gleich darauf standen die Holzspäne und wenig später die starken Aststücke in Flammen.
Tagelang hatte die junge Frau den Anblick eines Feuers vermißt, jetzt war sie um so dankbarer dafür. Ihr Körper entspannte sich in der Wärme, die in weichen Wellen über sie flutete und ihre Kleider trocknete. Allmählich wurde sie schläfrig; eben dachte sie daran, daß sie am besten noch einmal Holz nachlegen und dann unter das Boot kriechen sollte – als aus dem Dunkel des Waldes plötzlich ein unheimlicher Schrei ertönte.
Zutiefst erschrocken fuhr sie zusammen; sie bebte am ganzen Leib, und dieses Zittern legte sich auch dann nicht, als der klagende Laut sich wiederholte: der Jagdruf eines Käuzchens. Denn der Schrei hatte jäh wieder das Grauen der Geschehnisse auf der Ynys Vytrin in ihr wachgerufen; die schrecklichen Erinnerungen, die sie während ihrer Flucht unter Aufbietung all ihrer Willenskraft so weit wie möglich unterdrückt hatte, weil sie den Strapazen sonst nicht gewachsen gewesen wäre. Aber jetzt, da sie in Sicherheit war, zerbrach
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