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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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von ihr wich.
    Wieder beim Boot, holte Branwyn das Ruder unter den Sitzbrettern hervor, legte es sich griffbereit und schob den Curragh in die anbrandenden Wellen. Im selben Moment, da das leichte Gefährt auf den Wogen zu tanzen begann, kletterte die junge Frau hinein, ergriff das Paddel und steuerte das Boot entschlossen von der Ynys Vytrin weg. Der Mond wies ihr die Richtung zu der Strömung, die nahe am Walkopf des Eilands vorüberführte und die sie hinüber zur Lleyn-Halbinsel tragen würde. Wenig später trieb sie an den himmelstürmenden schwarzen Gesteinsmassen vorbei, und bald war die Silhouette der Insel nur noch als Schemen in der Nacht zu erkennen.

Der Bergwald
    Als das Morgenrot seinen rötlichen Schimmer über das Meer breitete, hatte Branwyn nicht bloß das Festland erreicht, sondern war, immer entlang der Küste der Lleyn-Halbinsel, so weit nach Nordosten vorangekommen, daß sie die Ynys Vytrin nicht mehr auszumachen vermochte. Statt dessen ragten jetzt zur Linken mächtige Felsbastionen auf, dazwischen gab es Buchten mit breiten Sandstränden. Möwen kreisten über dem Curragh, ab und zu segelten Kormorane heran und erweckten durch ihren gemächlichen Flug den Eindruck tiefen Friedens. Diese Stimmung freilich, die junge Frau wußte es nur zu genau, täuschte. Sie hatte gestern die Rauchwolken über dem Dorf Aberdaron gesehen, und auch wenn diese Ansiedlung nun schon weit hinter ihr lag, konnte sich von dort jederzeit ein schnelles Piratenschiff nähern. Aus diesem Grund wollte sie es nicht riskieren, ihre Fahrt tagsüber fortzusetzen; besser war es, an Land zu gehen und sich einen Schlupfwinkel zu suchen.
    Die Sonne stand erst eine Handbreit über dem Horizont, als Branwyn einen geeigneten Platz fand. Halbmondförmig zog sich ein dicht mit Wildhafer bewachsener Dünenstreifen den Strand entlang; nur ein paar Dutzend Schritte dahinter öffnete sich ein schmaler, steiler Einschnitt zwischen den Klippen, aus dem ein Rinnsal sprudelte. Die junge Frau zog das Boot aufs Trockene, brachte es in den Sichtschutz des Sandwalls und kletterte zu dem kleinen Bach hinauf, um sich satt zu trinken. Danach suchte sie die Küstenfelsen jenseits der Düne ab, bis sie eine Stelle entdeckte, wo mehrere flache Riffs in die See tauchten. Unter den Tangbärten gab es ganze Kolonien von Pfahlmuscheln; Branwyn löste mehrere Dutzend, öffnete die Schalen mit Hilfe des Messers, das sie in der Fischerhütte gefunden hatte, und schlürfte den Inhalt heißhungrig gleich an Ort und Stelle.
    Zurück an ihrem Lagerplatz, kippte die junge Frau den Curragh um und schob an einer Seite einige Steine unter die Bordwand. Dann schlüpfte sie aus ihren feuchten Kleidern, breitete sie zum Trocknen über den Bootskörper und kroch schließlich unter den Curragh, der nun wie eine bergende Schale über ihr lag. Fast augenblicklich schlief sie ein; langsam stieg der Sonnenball am Firmament höher, erreichte seinen Zenit und wanderte allmählich nach Westen. Branwyns Erschöpfung aber war so tief, daß sie erst in der Abenddämmerung wieder erwachte.
    Mit einem unterdrückten Schrei fuhr sie auf; in panischer Furcht versuchte sie, den Raubkrieger mit der bösartigen Fratze abzuwehren. Im nächsten Moment begriff sie, wo sie sich befand: nicht auf der Ynys Vytrin, sondern in ihrem Versteck unter dem lederbespannten Boot; es war nur ein Alptraum gewesen, der sie heimgesucht hatte. Entschlossen schüttelte sie die Beklemmung ab, verließ ihren Unterschlupf, lief um die Dünenflanke herum und spähte über das Meer. Leer lag die See vor ihr; rotgoldenes Licht spiegelte sich auf den Wogen der Tremadog-Bucht, und die funkelnde Bahn flutete hinüber zum Massiv des Eryri Gwyn im Nordosten: dem Göttersitz von Gwynedd.
    Im Verlauf der vergangenen Nacht hatte Branwyn sich entschieden, dorthin zu flüchten. In den hohen Bergen, so hoffte sie, würde sie vor den Piraten sicher sein. Vielleicht stieß sie irgendwo in einem Tal des Eryri Gwyn auf Menschen ihres Volkes; wenn nicht, mußte sie eben auf sich allein gestellt überleben. Doch vorerst war ohnehin nur wichtig, daß sie das Bergmassiv im Landesinneren erreichte …
    Die junge Frau zog ihr Leinenkleid über; es war ebenso wie das Plaid völlig trocken und noch warm von der Sonne. Dann trank Branwyn abermals ausgiebig aus dem Wildbach und entdeckte gleich darauf ein Stück weiter oben in der Kluft einen Schlehdornbusch. Dankbar füllte sie ihre Kleidertasche mit den blauschwarzen Früchten, kehrte

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