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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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großen Vogel mit dem rötlichen Gefieder zu ihr gesandt, gestern und jetzt eben wieder, damit sie die Höhle finden sollte. »Ich danke dir, Ceridwen!« flüsterte Branwyn. »Du hast mich von der Ynys Vytrin bis hierher zum Eryri Gwyn beschützt und mich nun zu diesem Ort geführt, der mir Zuflucht inmitten der Wildnis bietet. Und weil ich deinen Willen erkenne, werde ich hierbleiben, um im Vertrauen auf dich mein Schicksal abzuwarten …«
    ***
    In der Folge richtete Branwyn sich in der Kaverne ein. Aus dem Bergwald holte sie mehrere Traglasten Fichtenbärte, schichtete sie an einer geeigneten Stelle der Höhlenwand innerhalb einer Umfassung aus Quadersteinen zu einem Lager auf und bedeckte sie mit einer Schicht Heidekraut. Nachdem sie die aus dem Lederüberzug des Curraghs gefertigte Plane darübergebreitet hatte, besaß sie ein bequemes Bett; nach der ersten Nacht, die sie darin schlief, erwachte sie wie neugeboren. Der Wald, der sich unterhalb des Hochtales ausbreitete, schenkte ihr aber auch Feuerholz; bald lagerten beachtliche Mengen in der Grotte. Zudem hatte die junge Frau aus biegsamen Weidenruten einen Windfang geflochten, mit dem sie bei Bedarf den Zugang zu ihrer Behausung verschließen konnte.
    Sobald diese Arbeiten erledigt waren, ging Branwyn daran, Nahrungsmittelvorräte für die bevorstehende kalte Jahreszeit anzulegen. Sie sammelte Beeren, Pilze und Kräuter und trocknete sie. Um sie aufbewahren zu können, töpferte sie eine Reihe dickbauchiger Tonbehälter, die sie in der Glut der Feuerstelle brannte. Außerdem stellte sie Wasserkrüge und Kochtöpfe her; den feinen Lehm, den sie für die Gefäße benötigte, fand sie im Quellgebiet des Flusses. In den klaren Fluten des Sees wiederum gab es Schwärme von Fischen; die junge Frau fing so viele wie möglich, räucherte sie und ließ sie zusätzlich an der Luft dörren, bis sie brettsteif und damit monatelang haltbar waren.
    Der Herbst ging zum größten Teil darüber hin; allmählich stellte Branwyn sich darauf ein, in ihrer Höhle zu überwintern. Sie rechnete jetzt nicht mehr damit, daß in diesem Jahr noch andere Menschen hier in der Einsamkeit des Gebirges auftauchen würden. Oft, besonders während der nun immer länger werdenden Nächte, fühlte sie sich deswegen bedrückt, aber sie ergab sich diesen quälenden Anwandlungen nicht, sondern kämpfte dagegen an. Sie hielt Zwiesprache mit der Göttin und fand im Vertrauen auf den Schutz Ceridwens Trost; darüber hinaus bemühte sie sich weiterhin, das Ihrige zu tun, um zu überleben.
    Sie schaffte noch mehr Feuerholz in die Kaverne und schichtete die armdicken Bündel an der Rückwand auf. Den Windfang vor dem Eingang verstrich sie mit Lehm und dichtete ihn so gegen den geringsten Luftzug ab. Schließlich flocht sie aus den langen, flachgepreßten Halmen von Graslilien, die auf der Heide an den Bergflanken gediehen, mehrere Matten und vernähte sie zu einer dicken Zudecke für ihr Bett, die sie über das Plaid breiten konnte, unter dem sie bisher geschlafen hatte.
    Eines Morgens dann, als Branwyn ins Freie trat und zum Gipfelmassiv des Eryri Gwyn hinaufblickte, traute sie ihren Augen nicht. Denn der Weiße Adler hatte Gestalt angenommen. Mit weit ausgebreiteten Schwingen, schimmernd im Sonnenlicht, schien er über den Bergwäldern zu schweben – der erste Schnee, der in dieser Nacht gefallen war, hatte das schier andersweltliche Bild über die Steilhänge, Schroffen und Zinnen des Göttersitzes gemalt.

Der Barde
    Dem ersten Schneefall folgten weitere; bald türmten sich die Wehen am Rand des Hochtales, im Eingang des Passes und tiefer unten am Saum des Bergwaldes. Branwyn verbrachte die meiste Zeit in der Höhle, nur zum Brennholzsammeln verließ sie die Kaverne für längere Zeit. Je weiter der Winter fortschritt, desto tiefer mußte sie in den Forst eindringen, um abgestorbene Äste und zersplitterte Strünke umgestürzter Bäume, die sie mühsam zerteilte, zu finden. Das Feuer, dessen Glut nun Tag und Nacht nicht mehr erlosch, ermöglichte ihr das Überleben – doch es weckte auch die grauenhaften Erinnerungen.
    Besonders wenn draußen vor dem Grottenmund undurchdringliche Dunkelheit lastete oder der Sturmwind heulte, glaubte die junge Frau im Züngeln der Flammen und in den tanzenden Schatten an den Felswänden erneut jene schrecklichen Szenen vor sich zu sehen, die sich auf der Ynys Vytrin abgespielt hatten. Manchmal erschienen ihr, wie zum Greifen nahe, die Gesichter der Ermordeten,

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