Die Bischöfin von Rom
flatterten Raben von den Steinquadern hoch und schwirrten über den Köpfen der Besucher, während Branwyn und ihr Gefährte den Platz langsam umkreisten. Als sie einige der behauenen Blöcke genauer untersuchten, entdeckten sie auf deren Oberfläche verschiedenartige heilige Zeichen: Flechtmuster, Knotenreihen, Spiralen, Doppelschlangen und auf dem am besten erhaltenen Quader, der aus rötlichem Fels gemeißelt war, ein Pentagramm.
Mit dem Finger fuhr die kniende junge Frau die gezackte Kontur des Fünfsterns nach, dessen Ende wieder in den Anfang einmündete, und murmelte: »Das druidische Symbol für die höchste Erkenntnis, welche die dreigestaltige Form der sichtbaren Welt sowie das Wesen von Annwn und schließlich die fünfte Ebene der Unendlichkeit des Weltalls umfaßt. Und all dies ist durch das ewige Wirken der Götter unauflöslich und liebevoll miteinander verknüpft …«
Verblüfft musterte Eolo sie; einmal mehr hatte er das Gefühl, Branwyns Innerstes nie ergründen zu können. Mit wenigen Sätzen war es ihr gelungen, etwas auszudrücken, was menschliches Begreifen beinahe überstieg; in jeder Druidenschule und an jedem Fürstensitz hätten diese Worte ihr Ehre eingetragen.
Schweigend beobachtete der Barde, wie sie sich nun langsam wieder aufrichtete, die Hände ausstreckte und mit bebenden Fingerspitzen etwas Unsichtbares zu ertasten schien. Gleich darauf trat sie mit zögernden Schritten zwischen dem Block, der das Pentagramm trug, und einem anderen Steinquader hindurch und bewegte sich entlang einer seltsam gewundenen Linie auf das Zentrum der Ruinenfeldes zu. Abrupt blieb sie dort stehen und erweckte jetzt den Eindruck, als würde sie lauschen; im nächsten Moment vernahm Eolo Goch ihren leisen Ruf.
Als er neben ihr stand, raunte sie: »Du mußt den Atem so flach wie möglich halten und dich mit deinem ganzen Sein öffnen!«
Der Barde tat, was sie von ihm verlangte; es dauerte nicht lange, bis auch er das unermeßlich feine Sirren vernahm, das an dieser Stelle aus der mit Geröll bedeckten Erde drang. Es war wie das Wispern winziger Wesen und dann plötzlich auch wie die Berührung durch etwas Körperloses, das ganz zart über seine Haut streifte. Im ersten Augenblick empfand er Verwirrung, beinahe Furcht; ein paar Herzschläge später fühlte er tiefe Beglückung und ließ sich rückhaltlos von der andersweltlichen Kraft des Cadair Idris durchströmen – zuletzt brachte eine behutsame Berührung der jungen Frau ihn in die Wirklichkeit zurück.
»Ich glaube, es ist genug!« flüsterte sie und führte ihn aus dem Bannkreis der geheimnisvollen Macht. Etwas abseits setzten sie sich auf eine Felsrunse; dort erläuterte Branwyn ihrem Gefährten, was sie über die rätselhafte Erscheinung dachte: »Der Druide Idris wählte den Platz, an dem er sich der Himmelsbeobachtung widmete, sehr klug aus. Denn hier wirken außergewöhnlich starke Erdkräfte, die aus den Tiefen des Gebirges zum Firmament emporsteigen. Mit diesem Pulsen, das zwischen dem Diesseitigen und Annwn schwingt, verband er sein eigenes Wesen, damit sein Geist sich in die Weite des Alls hinaus öffnen konnte. Ähnliches gilt wohl für die Barden, welche die Ausstrahlung dieses Ortes in späteren Jahrhunderten zu nutzen wußten; auch sie wurden erhoben, sofern ihr Trachten mit dem Willen Rhiannons in Einklang stand.«
Eolos Erstaunen war ebenso groß wie vorhin, als sie über das Pentagramm gesprochen hatte. »Die weisen Frauen, die dich erzogen haben, müssen herausragende Lehrerinnen gewesen sein!« stellte er fest.
»Das waren sie«, erwiderte Branwyn leise.
»Und du bist offenbar eine hochbegabte Schülerin gewesen«, fuhr der Barde fort. »Nur so konntest du dir lange vor der gewöhnlichen Zeit derartige Kenntnisse erwerben!«
Bescheiden verwahrte sie sich: »Es hätte noch so vieles zu lernen gegeben …«
»Trotzdem weißt du bereits jetzt sehr viel mehr als die allermeisten Menschen!« beharrte Eolo Goch. »Soeben fandest du die Stelle, wo Rhiannons Anhauch sich am kräftigsten manifestiert, mit traumwandlerischer Sicherheit.«
»Du hättest es ebenfalls gekonnt«, versetzte die junge Frau. »Ich bin überzeugt davon!«
»Da ich in diesen Dingen geschult bin, wäre es mir wahrscheinlich gelungen«, gab der Barde zu. »Aber zweifellos hätte ich bedeutend größere Mühe aufwenden müssen als du …« Er stockte; als er weitersprach, klang seine Stimme sehr weich. »Du warst es, die mich führte … und weil wir
Weitere Kostenlose Bücher