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Die Bischöfin von Rom

Die Bischöfin von Rom

Titel: Die Bischöfin von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckel
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daumenlange Geschoßspitze mit einem einzigen Ruck heraus. Aus der Kehle des Legionärs drang ein gurgelnder Schrei und erstarb in einem Röcheln, weil der Mann ohnmächtig geworden war. Branwyn überprüfte seinen Puls, stellte fest, daß er flach, aber regelmäßig schlug, und machte sich daran, die Wunde, die sich mittlerweile zusammengezogen hatte, zu versorgen. Da kein Wein mehr vorhanden war, öffnete sie ihr Reisebündel, in dem sie einige Heilkräuter mit sich führte. Sie zerrieb ein wenig getrocknetes Arnikakraut, streute es über die Wundränder und legte dem Legionär, nachdem sie Stoffstreifen von seinem Untergewand abgetrennt hatte, einen Verband an.
    Gerade wollte sie aufstehen, um sich nach weiteren Verletzten umzusehen, die Hilfe benötigten, als plötzlich Hufschlag in ihrem Rücken erklang. Sie fuhr herum und sah einen Rapphengst, der nun hart vor ihr durchpariert wurde. Das Tier warf den Kopf, Schaum flockte von seinem Gebiß; im selben Moment, da der Reiter den Hengst zur Ruhe brachte, erkannte die junge Frau den Offizier im silbernen Harnisch und mit dem roten Helmbusch. Es war derselbe, der die römischen Truppen kommandiert und am Ende zusammen mit seiner Leibwache die Verfolgung der flußabwärts fliehenden Horde aufgenommen hatte.
    Branwyns erste Regung war Abwehr; erneut glaubte sie, diesen großgewachsenen Mann gnadenlos fechten und töten zu sehen. Doch dann gewahrte sie etwas in seinen Augen, das sie nicht erwartet hatte: Wärme und Anteilnahme. Und dieser Eindruck verstärkte sich, als er nun sagte: »Wo eben noch erbittert gekämpft wurde, handelst du barmherzig, und dafür möchte ich dir danken!«
    Um ihn auf die Probe zu stellen, erwiderte sie: »Ich habe diesen Legionär versorgt – aber ebenso einen eurer Gegner, der sonst verblutet wäre.« Sie deutete auf den dunkelblonden Krieger, der unweit von ihnen auf der Erde lag und allmählich wieder zu sich zu kommen schien.
    »Auch die Franken sind Menschen«, antwortete der Offizier. »Zwar fielen ihre Scharen widerrechtlich nach Gallien ein und setzen uns Römern seither schwer zu, dennoch dürfen wir uns bei der Verteidigung des Reiches nicht von blindem Haß hinreißen lassen. Denn falls wir es darauf anlegten, besiegte Feinde unnötig zu quälen, wären wir nichts anderes als tollwütige Bestien.«
    Der römische Reiterführer schwang sich aus dem Sattel und fuhr fort: »Du kannst dich darauf verlassen, daß die fränkischen Verwundeten die gleiche Pflege erhalten wie die Legionäre. In meinem Heer gilt nämlich der strikte Befehl, nach der Schlacht Menschlichkeit ohne Unterschied der Person walten zu lassen. Daher sind die meisten Verletzten, egal welcher Seite, inzwischen verbunden, wie du siehst, und auch zu den beiden, die du verarztet hast, werden gleich Helfer kommen, um sich ihrer weiter anzunehmen. – Doch nun laß uns über dich sprechen. Bist du eine Heilkundige aus der Gegend hier?«
    »Nein, ich stamme aus Britannien«, erwiderte die junge Frau. Als er mehr wissen wollte, erzählte sie ihm kurz von den medizinischen Erfahrungen, die sie in Avalon gewonnen hatte, und nannte ihm zuletzt auch ihren Namen – dann trieb die Neugier sie dazu, sich nach dem seinen zu erkundigen.
    »Ich heiße Julian.« Mit diesen Worten setzte er den Helm ab, der sein Gesicht bislang halb verborgen hatte, fuhr sich durch die dichten schwarzen Locken und lächelte sie an. Das Antlitz des kaum fünfundzwanzigjährigen Offiziers mit den klugen braunen Augen, der kräftig ausgeprägten Nase und der erstaunlich sensiblen Mundpartie wirkte, ähnlich wie seine Art im Umgang mit ihr, anziehend auf Branwyn; fast hatte sie das Gefühl, nicht länger einem Heerführer, sondern eher einem Philosophen oder Dichter gegenüberzustehen.
    »Nur Julian?« entfuhr es ihr.
    »Na ja, bei offiziellen Anlässen, wenn ich meines Amtes als Militätribun der gallischen Nordprovinzen walte, werde ich Flavius Claudius Julianus gerufen«, gab er ihr Auskunft. »Aber«, er zwinkerte ihr zu, »im Grunde finde ich das ein wenig umständlich, und der Kosename, den meine Mutter verwendete, war mir stets lieber.«
    Seine Bescheidenheit nahm die junge Frau noch mehr für ihn ein, so daß sie sich ihm nun ganz anvertraute: »Ich bin nach Samarobriva gekommen, weil ich den christlichen Priester dieser Stadt treffen muß. Dort drüben sind jedoch zahlreiche Gebäude in Brand geraten, so daß es im Tumult wahrscheinlich schwer für mich werden wird, ihn zu finden. Dürfte ich

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