Die Bismarcks
Erfahrung als Soldat aus. Er nutze jede Gelegenheit zum Gespräch mit seinen Mitarbeitern: im Aufzug, in der Kantine, bei Schalt- und Redaktionskonferenzen. Er war ein Chef zum Anfassen. Der Stopp am Ü-Wagen, um eine Live-Sendung zu verfolgen, ähnelte einem Besuch bei der Truppe im Feld. Bismarck zeigte sich auch an der Arbeit der Techniker interessiert. Er stellte ihnen viele Fragen und fuhr bis in die Spitze der hohen Sendemasten hinauf, die die Höhen der Mittelgebirge Nordrhein-Westfalens zu prägen begannen. Die Techniker hatten Mühe, ihm zu folgen. Es ging mitunter 300 Meter hoch, und nicht jeder war so schwindelfrei wie Bismarck. Hier war der ehemalige Bataillonskommandeur in seinem Element. Oben angekommen, interessierte er sich nicht für Frequenzen und Technisches, sondern war beim grandiosen Blick über die Landschaft auch allein mit seinen Gedanken.
1964 kehrte er mit seiner Frau, mittlerweile 52 Jahre alt, zum ersten Mal in die pommersche Heimat zurück. Anlass für den Besuch in Polen war eine Einladung von Radio Warschau an den WDR -Intendanten. Nach dem Aufenthalt in der polnischen Hauptstadt reiste Bismarck zunächst nach Krakau weiter und suchte das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz auf, das eine Autostunde entfernt liegt. Bismarck, der sich darüber im Klaren war, dass das Dritte Reich den Weg zurück zu einer den konservativen Idealen verpflichteten Gesellschaft für immer verbaut hatte, schrieb später: »Hitler und Auschwitz haben den humanen Idealismus des gebildeten Bürgertums ausgelöscht.« 16 Erst danach reiste er mit seiner Frau nach Kniephof und Jarchlin weiter. »Nach zwanzig Jahren im Westen fühlten wir plötzlich etwas von einer östlichen Urverwandtschaft. Die alte Heimat schenkte uns eine Ahnung von dem Beginn eines neuen Zeitalters.«
In Bismarcks Intendantenzeit fiel eine Entwicklung, die er verlangsamen, aber nicht stoppen konnte: Der Einfluss der großen Parteien auf die Besetzung der Spitzenpositionen im Sender nahm zu. Aber lange Zeit hatte er es mit hochqualifizierten Mitarbeitern zu tun, die er bei seinem Amtsantritt vorgefunden hatte bzw. die er nun förderte. Zu ihnen gehörten Gerd Ruge, Peter Scholl-Latour und Günter Rohrbach. Er selbst bevorzugte erkennbar den Typus des intellektuellen Journalisten, wie es ihn damals in den Rundfunkanstalten noch in großer Zahl gab.
Zu den wichtigsten Mitarbeitern Bismarcks im Management zählten neben dem Verwaltungsdirektor Hörfunkdirektor Fritz Brühl und Fernsehdirektor Hans-Joachim Lange. Brühl scheute sich nicht, sprachliche Ungenauigkeiten selbst bei seinem Intendanten zu korrigieren. Auf Brühl folgte Manfred Jenke. Lange wurde durch Peter Scholl-Latour, später durch Werner Höfer abgelöst. Dieser war mit seinem »Internationalen Frühschoppen« damals für jeden Deutschen ein Begriff, die in Hörfunk und Fernsehen ausgestrahlte Sendung war ein sonntägliches Ritual. Im Tagesgeschäft hatte Bismarck seine Mühe mit Höfer, der auf Aktualität geradezu versessen war. Höfer musste den Sender verlassen, als Bismarck schon nicht mehr Intendant war. Er war in die Berichterstattung über den Fall des 1943 wegen kritischer Äußerungen hingerichteten Pianisten Karlrobert Kreiten verwickelt gewesen.
Bismarck zeigte in diesen Jahren eine große Sympathie für die Ostpolitik Willy Brandts. Mit seinem Bruder Philipp, dem Bundestagsabgeordneten, gab es deshalb mitunter Konflikte, auch wenn die Brüder in der Grundtendenz übereinstimmten. In seinen Memoiren heißt es dazu: »Aber ich habe mich dagegen gewehrt, meine tiefe Trauer um den Verlust meiner Heimat als Legitimation für politische Forderungen nach Wiederherstellung alter Grenzen zu begreifen.«
Auch im eigenen Hause schuf Bismarck die Voraussetzungen für eine faire, umfassende Berichterstattung über die Länder hinter dem Eisernen Vorhang. Daher hatte er ein besonderes Interesse an der Besetzung der Korrespondentenstellen in Osteuropa. Seine Kameraden von einst vergaß er ebenfalls nicht: Bismarck warb für die Integration der Bundeswehr in die Gesellschaft. Der im Herzen linksliberal gewordene Pommer hatte im Sender den Ruf, eine überempfindliche Witterung zu haben. Die frechen Kölner und Rheinländer sagten, er stünde mit dem Feuerlöscher in der Hand da, bevor es überhaupt brenne. 17 Fast hat es den Anschein, als wenn Bismarck sich als Hüter und Bewahrer eines großen Gutes sah, dieses Mal im Äther. Walter Dirks, WDR -Kulturchef im Hörfunk,
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