Die Bismarcks
dürfen wir nicht bloß abstrakten Freiheitsbestrebungen nachjagen, sondern müssen auch als Nation zusammenhalten und handeln, dass wir auch in der Fremde geachtet sind, dass wir unsere Flagge geschützt hinsenden nach fremden Weltteilen.« 34 Wir wollen teilnehmen »an den großen Weltbegebenheiten«. Chauvinistische Sätze, Worte, die vor Kraft und Energie nur so strotzen. Es waren vor allem die Liberalen in der Paulskirche, die solche Vorstellungen vom künftigen Deutschland propagierten.
Vor allem Russland und Österreich verfolgten die Entwicklungen in Deutschland mit Misstrauen, aber auch das britische Empire schöpfte Argwohn. Es war vor allem durch die deutschen Flottenpläne aufgeschreckt worden. Der spätere Premierminister Benjamin Disraeli forderte im April 1848 im Unterhaus, man müsse den gefährlichen deutschen Träumen, »that dreamy and dangerous nonsense called ›German nationality‹«, im Interesse des europäischen Friedens widerstehen. 35 Die großen europäischen Mächte waren also nicht bereit, einen deutschen Nationalstaat unter preußischer Führung hinzunehmen. Alle Probleme, mit denen Bismarck und seine Nachfolger später konfrontiert wurden, man möchte sogar meinen, die aktuellen Diskussionen über Europa, tauchten somit 1848/49 schon auf.
Als in den benachbarten Hauptstädten das zögerliche Verhalten des preußischen Königs in innen- wie außenpolitischen Fragen registriert wurde, nahmen die Einflussversuche zu. Auf russischen Druck hin musste sich Preußen zum Entsetzen der deutschen Nationalbewegung aus Schleswig-Holstein zurückziehen, wo es zu einem militärischen Konflikt gekommen war, und Frieden mit Dänemark schließen. Im Grunde genommen begrüßten alle europäischen Mächte diesen erzwungenen Rückzug. Ein Konflikt in Kurhessen brachte Österreich ins Spiel. Die Regierung des Duodezfürstentums hatte gegen die Verfassung gehandelt, es gab in Kurhessen eine Art Generalstreik. Preußen wollte intervenieren, obwohl der Aufstand sich gegen die etablierte Macht richtete. Wien drohte mit militärischen Gegenmaßnahmen. Militärstrategisch war der hessische Kleinstaat für Berlin sehr wichtig, weil durch sein Territorium die Militärstraße führte, die die östlichen Landesteile Preußens mit dem Westen verband. Beide Staaten machten mobil. Im Vertrag von Olmütz vom 29. November 1850 musste Preußen auf der ganzen Linie nachgeben, den Gedanken der Union ad acta legen. Allerdings gelang es Österreich nicht, eine hegemoniale Stellung in Deutschland zu beziehen. Es blieb bei dem Dualismus von Preußen und der Donaumonarchie. Der alte Staatenbund von 1815 unter österreichischer Führung konstituierte sich erneut.
Bismarcks alte politische Freunde begrüßten diese Entwicklung und setzten sich beim König dafür ein, ihn als preußischen Gesandten zum wiedereröffneten Bundestag nach Frankfurt zu schicken. Sie übersahen dabei, dass Bismarck in seiner vielbeachteten Verteidigungsrede von Olmütz am 3. Dezember 1850 andeutungsweise Gedanken hatte anklingen lassen, die mit der Prinzipienpolitik der Gerlachs und anderer Gesinnungsfreunde nicht mehr übereinstimmten. »Es ist leicht, mit dem populären Winde in die Kriegstrompete zu stoßen und sich dabei an seinem Kaminfeuer zu wärmen oder donnernde Reden zu halten«, hatte er gesagt. Bismarck hatte sich bei diesem Anlass zum »staatlichen Egoismus« bekannt. Er hatte unterstrichen, dass der Krieg gegen Österreich nicht grundsätzlich zu vermeiden gewesen sei, sondern nur aufgrund der ungünstigen Mächtekonstellation und der unzureichenden Rüstung Preußens. 36 Diese Rede war die wichtigste seines Lebens. 37 In London fand wenige Monate später die erste Weltausstellung statt, und in den USA erschien 1851 die New York Times zum ersten Mal.
Wenige Tage nach Bismarcks Ankunft in Frankfurt am Main waren ihm die Verhältnisse klar: »Ich habe nie daran gezweifelt«, schrieb er über seine neuen Kollegen nach Hause, »dass sie alle mit Wasser kochen; aber eine solche nüchterne, einfältige Wassersuppe, in der auch nicht ein einziges Fettauge von Hammeltalg zu spüren ist, überrascht mich. Kein Mensch, selbst der böswilligste Zweifler von Demokrat, glaubt es, was für Scharlatanerie und Wichtigtuerei in dieser Diplomatie steckt.« 38 Das Berliner Abgeordnetenmandat behielt Bismarck zunächst.
Als preußischer Gesandter in Frankfurt erkannte Bismarck rasch, dass Österreich nicht bereit war, Preußen als ebenbürtigen
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