Die Bismarcks
Berlin zurückkehrte, verliebte er sich bei einer Badekur im mondänen Biarritz in die 25 Jahre jüngere russische Prinzessin Katharina Orlow. Sie erinnerte ihn an Marie von Thadden. Für einige Wochen kehrte er gedanklich und emotional in seine Jugendzeit zurück. Vielleicht hat er hier, an einem entscheidenden Punkt seines Lebens, noch einmal mit dem Gedanken gespielt, aus den Konventionen und Zwängen des in den zurückliegenden 15 Jahren geführten Lebens auszubrechen.
Das Zwischenspiel in Frankreich nutzte Bismarck politisch zu Gesprächen mit Kaiser Napoleon III. und zu einer Reise nach London. Dort traf er mit der englischen Regierung zusammen. Er gewann den Eindruck, dass man in der britischen Hauptstadt wenig über Preußen wusste. Gegenüber Benjamin Disraeli deutete er seine Bereitschaft an, notfalls mit Österreich einen Krieg um die Vorherrschaft in Deutschland zu führen. Die Reaktion des britischen Oppositionsführers: »Take care of this man! He means what he says.« Damit spielte der englische Politiker auf Bismarcks Gesprächs- und Verhandlungseröffnung an, die sich durch eine ungewöhnliche Offenheit auszeichnete. Viele auswärtige Politiker waren später geradezu schockiert über diese Strategie, die zunächst eine Atmosphäre der Vertraulichkeit schuf, in Bismarcks Händen aber jederzeit eine gefährliche Waffe war.
In Bismarcks Pariser Zeit fiel auch noch der Abschluss eines preußisch-französischen Handelsvertrags. Die wirtschaftliche Trennung der Habsburger Monarchie von Deutschland war damit unvermeidbar geworden, ein Hinweis auf die neuen Bündnismöglichkeiten, die sich mit dem Krimkrieg in Europa ergeben hatten. Am 18. September 1862 erhielt Bismarck das lang ersehnte Telegramm aus Berlin: »Periculum in mora. Dépêchez-vous« (Gefahr im Verzug. Beeilen Sie sich). Bismarck trat eine 25-stündige Zugfahrt an und traf am 20. September 1862 in Berlin ein. Die Fahrt vom Westen nach Berlin war erst drei Jahre zuvor mit der Eröffnung der Kölner Dombrücke möglich geworden. Bismarck sorgte später dafür, dass aus den vielen Privatbahnen in Deutschland eine Staatsbahn wurde.
Preußischer Ministerpräsident
Am Nachmittag des 22. September 1862 empfing König Wilhelm I. Bismarck zu einem Gespräch im Schloss Babelsberg bei Berlin. In der Rückschau lässt sich sagen, dass dieser Tag ein entscheidendes Datum für die deutsche und für die europäische Geschichte wurde. Bismarck war nicht der Wunschkandidat des Monarchen für den Posten des Ministerpräsidenten, sondern die letzte Karte, die er in einer erbitterten Auseinandersetzung mit dem Parlament ausspielen konnte. Die Unterredung wurde zusätzlich durch die Einwände von Königin Augusta belastet, der Frau des Monarchen, in der Bismarck seit vielen Jahren eine erbitterte Gegnerin hatte. Augusta hatte ihren Mann eindringlich davor gewarnt, diesen »Abenteurer« an die Spitze der Regierung zu berufen. An ihre Mutter, die englische Königin, schrieb Kronprinzessin Victoria, Bismarck sei »ein Schurke«, »ein Bösewicht«, er gelte persönlich »als frivol und anmaßend bei sonstigem unverkennbarem Talent«. 43
Bei dem zunächst stockend verlaufenden Gespräch traf Bismarck den emotionalen Punkt bei seinem Partner, als er sagte: »Ich fühle wie ein kurbrandenburgischer Vasall, der seinen Lehnsherren in Gefahr sieht. Was ich vermag, steht Eurer Majestät zur Verfügung.« Das wirkte. Konkrete Zusagen, Konturen eines Regierungsprogramms entwickelte Bismarck bei der Fortsetzung der Unterredung während eines Spaziergangs im Schlosspark nicht.
Der König, vor die Wahl gestellt, das Risiko mit dem Junker und Diplomaten einzugehen oder abzudanken, entschied sich am Ende für Bismarck. Es war der Beginn einer 26 Jahre andauernden Zusammenarbeit mit vielen Höhen und Tiefen. Bismarck verließ Babelsberg mit einer politischen Blankovollmacht. 44 Ausschlaggebend war neben der Entscheidung des in soldatischen Kategorien denkenden Monarchen die Empfehlung des preußischen Kriegsministers von Roon. Der starke Mann in der preußischen Regierung hatte die Berufung Bismarcks seit Jahren betrieben und war Absender des Telegramms gewesen. Roon traute niemand anderem als Bismarck zu, die zentrale Forderung des Monarchen durchzusetzen, die dreijährige Militärdienstzeit.
Roon war der Ideengeber einer Heeresreform gewesen, die im Parlament zu dieser Zeit blockiert wurde. Sie sah vor, das Friedensheer von 140 000 auf 200 000
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