Die Bismarcks
Partner zu akzeptieren und seine in Olmütz erreichte Führungsrolle nur symbolisch zu nutzen. Vielmehr wollte Österreich nach der Niederschlagung des Aufstands in Ungarn im Jahre 1849, die durch russische Unterstützung möglich geworden war, seine europäische Position ausbauen und Preußen in die Rolle eines Juniorpartners zurückdrängen. Eine Mehrheit der im Deutschen Bund vereinigten 39 souveränen Staaten, ein kleiner Völkerbund nach heutigen Begriffen, machte dabei mit.
Unter solchen Umständen begann Bismarck, das europäische Mächtekonzert neu zu beurteilen und Frankreich anders zu bewerten. Er nutzte die Spielräume, die sich einem Spitzendiplomaten im 19. Jahrhundert boten, und setzte nicht länger auf Österreich. Verklausuliert klang dies bereits bei ihm an, als er dem preußischen Ministerpräsidenten von Manteuffel schrieb: »Es würde mich ängstigen, wenn wir vor dem möglichen Sturm dadurch Schutz suchten, dass wir unsere schmucke und seefeste Fregatte an das wurmstichige alte Orlog-Schiff von Österreich koppelten. Wir sind die besseren Schwimmer von beiden und jedem ein willkommener Bundesgenosse … Die großen Krisen bilden das Wetter, welches Preußens Wachstum fördert, indem sie furchtlos, vielleicht auch sehr rücksichtslos von uns benutzt werden.« 39
Als die Gerlach-Brüder daraufhin Bismarck einen Verrat der gemeinsamen Prinzipien vorwarfen, antwortete Bismarck: »Im Jahre (18)50 wurde ich von unseren Gegnern verräterischer Hinneigung zu Österreich angeklagt, und man nannte uns die Wiener in Berlin; später fand man, dass wir nach Juchten rochen, und nannte uns Spreekosaken. Ich habe damals auf die Frage, ob ich russisch oder westmächtlich sei, stets geantwortet, ich bin preußisch und mein Ideal für auswärtige Politiker ist die Vorurteilsfreiheit, die Unabhängigkeit der Entschließungen von den Eindrücken der Abneigung oder Vorliebe für fremde Staaten und deren Regenten. Ich habe, was das Ausland anbelangt, in meinem Leben nur für England und seine Bewohner Sympathie gehabt …« 40
Mit der Berufung zum Gesandten Preußens bei der Bundesversammlung in Frankfurt hatte sich bei Bismarck im Alter von 36 Jahren nun ein erster Lebenszyklus geschlossen. Er war dort angelangt, wohin er in Aachen bei unsicherem Ausgang der vierjährigen Referendarausbildung gestrebt hatte. Aber es war nie sicher gewesen, ob er als preußischer Landjunker eine Chance im diplomatischen Dienst haben würde, das preußische Auswärtige Amt rekrutierte sein Personal in der Regel aus anderen Kreisen. Gegenüber Leopold von Gerlach war er dann auch ehrlich genug, sich im Sommer 1851 als »diplomatischer Säugling« zu charakterisieren. Aber der Mittdreißiger, dem Preußen seinen wichtigsten diplomatischen Posten anvertraut hatte, war nicht nur im neuen Beruf unfertig. Bismarck bekam es mit einer Welt zu tun, die zu großen Teilen nicht die seine war: die Industriegesellschaft, die moderne Großstadt, die Reglementierung und Verrechtlichung aller Lebensbereiche. Er antwortete darauf mit großer Flexibilität, dabei fest auf seinen Gott vertrauend.
Der Krimkrieg im Jahre 1855 bildete dann die entscheidende Zäsur bei der Kooperation der europäischen Mächte, die bis dahin eine gewisse Rücksichtnahme auf die jeweils anderen gezeigt hatten. Das Zusammenspiel der bisherigen Flügelmächte England und Russland wurde beendet. Gemeinsam mit Frankreich griff England in den russisch-türkischen Konflikt ein. Es kam zur Belagerung und Eroberung von Sewastopol. Österreich unterstützte die Westmächte, Preußen blieb neutral. In der Mitte des Kontinents taten sich nun ungeahnte Möglichkeiten auf. Bismarck sah machtpolitische Chancen auf Preußen zukommen.
In Frankfurt führte er im Kreis der Familie und weniger Freunde in einem Haus an der Bockenheimer Landstraße ein unspektakuläres Leben und ging seinen Hobbys nach, dem Reiten, Schwimmen und Jagen. Zu Pferde war er mitunter die ganze Nacht lang unterwegs. Gern schwamm er im Rhein. Einmal ruderte er in einem Kahn auf den Fluss hinaus, ließ sich hinter dem Boot ins Wasser und begleitete es, von der Strömung getrieben, bei Mondschein von Rüdesheim bis nach Bingen. In Frankfurt traf Bismarck einen Gleichgesinnten, den englischen Gesandten Sir Alexander Malet, mit dem er sich anfreundete. Malets Sohn Edward wurde später englischer Botschafter in Berlin und hatte zu Herbert von Bismarck in einer schwierigen Phase der deutsch-englischen Beziehungen
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