Die Bismarcks
Friedrichsruh entfernt lag. Sie erhielten hier vom Dänischen und Schwedischen Roten Kreuz ihre Erstversorgung. Weitere 10 000 bis 12 000 KZ -Insassen aus anderen Nationen konnten bei der Operation ebenfalls gerettet werden. Zum Gelingen trug das Basislager in Friedrichsruh entscheidend bei, mit dem die Bismarcks Bernadotte unterstützten. Einer der weißen Busse steht heute in der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem.
Am 29. April 1945 überflogen feindliche Flugzeuge den Sachsenwald. Die Familie Bismarck nahm von ihnen zunächst keine Notiz, denn es gab seit Tagen Bombenangriffe im Großraum Hamburg. Tatsächlich kreisten die Maschinen in der Luft und kehrten um. Als die Motorengeräusche zunahmen, sagte die alte Fürstin: »Die fliegen so tief, ich glaube, die meinen uns.« In diesem Augenblick schlug die erste Bombe im sogenannten Kanzlerzimmer ein, in dem ein Teil der Familie sich gerade zur Teestunde eingefunden hatte. Andere Anwesende wie Otto befanden sich noch beim Mittagsschlaf. Wie durch ein Wunder war kein Familienmitglied im Haus verletzt worden, alle stürzten ins Freie. Beim kurz darauf folgenden zweiten Angriff wurde das Schloss erneut getroffen, der Fahrer eines vor dem Haus parkenden Schwedischen Rot-Kreuz-Wagens getötet. Während des knapp 15-minütigen Angriffs zerstörten die britischen Tiefflieger das Schloss vollständig. Es brannte trotz der Bemühungen der Feuerwehr und zum Löschen eingesetzter Soldaten bis auf die Grundmauern nieder. Mehrere im Haus lebende Schweizer Staatsbürger, unter ihnen der Generalkonsul und seine Frau, sowie weitere Ausländer kamen ums Leben. Die in Schönhausen einquartierte schwedische Gesandtschaft war wegen der vorrückenden Fronten erst kurz zuvor von Berlin nach Friedrichsruh verlegt worden.
Der Angriff war erfolgt, weil die Briten zu diesem Zeitpunkt Himmler in dem Gebäudekomplex vermuteten. Die britische Luftwaffe wollte Himmler offenbar mitsamt seinem Stab auf einen Schlag auslöschen. Der SS -Führer verhandelte mit Bernadotte nach der Freigabe des letzten Kontingents von KZ -Insassen über einen Separatfrieden mit den Westmächten. Tatsächlich hatte die Begegnung mit Bernadotte aber kurz zuvor in Lübeck stattgefunden, auf das sich die britischen Streitkräfte nach Überschreiten der Elbe bei Lauenburg am 28. April 1945 zubewegten.
Hitler beging am 30. April 1945 Selbstmord. Himmler wählte denselben Weg, als er den Briten einen Monat später in Lüneburg lebend in die Hände fiel.
Von der nahen Remise aus schaute die 74 Jahre alte Fürstin der Zerstörung des Hauptgebäudes mit unbewegter Miene zu. Aufgrund einer schweren Krebserkrankung kaum noch gehfähig, hatte sie es abgelehnt, sich von ihren Söhnen ins Freie tragen zu lassen. Im Bombenhagel war sie mit ihren Kindern zu den Stallungen hinuntergegangen und hatte sich auf einen Stuhl gesetzt. 66 Noch am gleichen Abend wurde Marguerite von ihrem Sohn Gottfried und Schwiegertochter Melanie nach Schönau in das Verwalterhaus gebracht. In gewisser Weise hatten die Briten mit dem Bombardement und der Zerstörung des Besitzes den alliierten Kontrollratsbeschluss symbolisch vorweggenommen, der am 27. Februar 1947 zur Auflösung Preußens führte.
Hannah blieb mit ihren vier Töchtern in der Villa in der Potsdamer Wörther Straße 15. »Ich bin ungern auf der Flucht und ziehe es vor, den Sachen ins Gesicht zu sehen«, notierte sie in diesen Tagen in ihrem Tagebuch. Mit einem Suppentopf unter dem Arm pilgerte sie zu ihrem Freund Jessen nach Berlin-Wannsee, als die S-Bahn wegen andauernder Bombenangriffe nicht fuhr. Professor Constantin von Dietze, ein alter Nachbar, und der Freiburger Historiker Gerhard Ritter, beide wegen Beteiligung am 20. Juli 1944 in Berlin-Moabit in Haft, fanden nach ihrer Freilassung im April 1945 bei Hannah vorübergehend Unterschlupf. Als britische Bomber große Teile der barocken Residenzstadt Potsdam am 14. April 1945 in Schutt und Asche legten, blieb das Haus knapp außerhalb der Zone der Zerstörung. Einen Tag später setzte eine Massenflucht der Bewohner und verbliebenen Soldaten nach Westen in Richtung Elbe und nach Norden ein.
Bei der Annäherung der Roten Armee an das Wohnviertel hisste Hannah mehrere weiße Fahnen und hatte Glück, dass zurückflutende versprengte SS -Angehörige und fanatisierte weibliche Soldateska die Familie nicht exekutierten. Am 30. April 1945 kamen schließlich die Russen. Hannah und ihre Töchter
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