Die Bismarcks
entgingen mit beherztem Auftreten und mit Glück den Vergewaltigungen. Zum allgemeinen Erstaunen wurde die Villa auch nicht beschlagnahmt. Der Name Bismarck war für die russischen Offiziere ein Begriff: Die Russen verehrten den Reichsgründer.
Nach und nach tröpfelten Nachrichten über den Verbleib von Freunden und Verwandten ein. Schwester Goedela und ihr Mann Hermann hatten die letzten Kriegsmonate in der Nähe von Kitzbühel verbracht. Einer ihrer Söhne hatte die beiden, völlig unterernährt und entkräftet, kurz vor Weihnachten 1944 in ein Sanatorium gebracht. Dort erlitt Keyserling im Januar 1945 einen Schlaganfall, von dem er sich aber rasch erholte. Er plante nun, sein Begegnungszentrum »Die Schule der Weisheit« in Innsbruck neu zu errichten. Aber dazu kam es nicht mehr: Hannahs Schwager starb bereits im April 1946.
Beunruhigt war Hannah darüber, dass sie keine Verbindung zu ihren Söhnen in der Schweiz hatte. Im Juni 1945 wurde Bruder Otto nach einem Besuch beim Bürgermeister in Lauenburg von der britischen Besatzungsbehörde für 14 Tage im Turm des Schlosses inhaftiert. Wenige Wochen später wurden die zwei Töchter Hannahs, Diana und Maria, von der sowjetischen Geheimpolizei GPU verschleppt, die Potsdam am Vorabend der Dreimächtekonferenz systematisch durchkämmte. Der Mutter gelang es, den Aufenthaltsort ihrer Kinder zu ermitteln und sie wenige Tage später geschwächt, aber wohlbehalten freizubekommen.
Hannah schrieb im Juli 1945 an Premier Churchill und bat ihn um Hilfe, darauf vertrauend, dass die britischen »connections« und die verwandtschaftlichen Bande zu den Whiteheads helfen könnten. 67 In ihrem Schreiben verwies sie darauf, dass ihr Vater Randolph Churchill, den Vater des Premiers, gut gekannt habe und dass sie eine entschiedene Hitler-Gegnerin gewesen sei. Sie bat Churchill um eine Unterredung und äußerte ferner die Bitte, ihr bei der Ausreise mit der Familie in die Schweiz behilflich zu sein. Der handschriftliche Brief, auf dem »private and confidential« sowie »urgent« vermerkt stand, wurde dem in Potsdam weilenden britischen Kriegspremier anscheinend tatsächlich vorgelegt, aber er antwortete nicht. Da half auch der Zuspruch nicht, den Hannah von ihren englischen Verwandten und der amerikanischen Familie ihres verstorbenen Mannes erhielt.
Am 21. Juli 1945 kehrte Hannah von einem Besuch im amerikanischen Sektor zur notdürftig reparierten Glienicker Brücke zurück, sie durfte diese aber auf Anordnung der dort postierten russischen Wachen nicht passieren. Einem britischen Oberst, der sich auf dem Weg zu einem großen Dinner im nahen Cäcilienhof befand, ging es ebenso. Wutschnaubend tauschte er sich mit Hannah aus, in der Annahme, sie sei Engländerin. Sie riet ihm, gute Miene zum bösen Spiel zu machen und sich Zeit zu lassen. Irgendwann würden die Rotarmisten einlenken. Warum sie allein zu Fuß unterwegs sei, fragte sie der britische Offizier. Hannah entgegnete, sie sei Deutsche. »Good God, but that’s impossible«, rief der Oberst entgeistert. »It’s a fact«, erwiderte Hannah kühl.
In diesem Augenblick kam ein noch größerer Wagen herangerauscht, in dessen Fond ein britischer Admiral saß, auf dem Vordersitz ein sowjetischer Offizier als Dolmetscher. Auch dieses Auto wurde nicht durchgelassen. Nach einem kurzen Wortwechsel gab der Brite die Anweisung, weiterzufahren. Die russischen Soldaten hatten gerade einen Deutschen erschossen, der auf ihr Stoppsignal zu spät reagiert hatte. Bevor die Wachposten ihre Waffen erheben und erneut abdrücken konnten, war die Limousine mit dem prominenten Insassen Lord Mountbatten durchgebrochen, dem späteren Vizekönig von Indien und Onkel des heutigen britischen Prinzgemahls Philip. Zehn Minuten später wurde die Sperrung der Brücke aufgehoben; Hannah durfte nach Potsdam weitermarschieren.
Im Laufe der nächsten Monate wurden die Lebensbedingungen in Potsdam für die Bredows unhaltbar. Anfang Oktober 1945 erreichte Hannah die Nachricht vom Tod ihrer Mutter in Schönau. Die beiden hatten seit dem Frühsommer 1944 keinen Kontakt mehr gehabt. Der britische Oberst, dem Hannah im Sommer an der Glienicker Brücke begegnet war, holte sie am 13. Oktober 1945 in Potsdam ab und fuhr sie nach Friedrichsruh. Solche Beförderungen, zumal von einer Besatzungszone in die andere, waren zu dieser Zeit eine Seltenheit, ein Indiz für die Wertschätzung, die die Familie nach wie vor auch unter den Besatzern genoss. Einen Tag später
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