Die blaue Liste
blicken. Sie lächelte ein wenig, aber Dengler konnte sich nicht entscheiden, ob dieses Lächeln einen glücklichen
oder einen gelangweilten Eindruck machte. Sie trug enge, schwarze Jeans, die sie besser nicht tragen sollte, und ein dunkles
Sweatshirt, dessen Muster er auf dem Foto nicht erkannte. Ein anderes Bild zeigte sie im Bikini an einem Strand, mit einem
ruhigen Meer im Hintergrund und inmitten unzähliger Sonnenschirme mit Marlboro-Aufdrucken.
»Unser Urlaub in Alicante«, sagte Anton Föll.
Die Frau war nicht hässlich, sie war aber auch nicht schön, sie neigte zur Fülligkeit, ohne dick zu sein – wenn eine Frau
durchschnittlich aussah, dann diese.
»Arbeitet Ihre Frau?«
»Sie ist Beamtin«, sagte der Mann, und ein wenig Stolz klang in seiner Stimme mit, »beim Kreiswehrersatzamt, hier in Stuttgart.
Sie hat medizinisch-technische Assistentin gelernt. Und ist nun für die Einberufungsbescheide an die jungen Männer zuständig,
die gemustert werden. Und muss die Ergebnisse verwalten und so.«
»Ich werde Ihnen bald sagen, ob Ihre Frau diese Anzeige aufgegeben hat«, sagte Dengler.
Er notierte sich die Adresse der Freundin, und Föll gab ihm 400 Euro.
»Wenn Sie eine Quittung brauchen, muss ich 16 Prozent Mehrwertsteuer berechnen«, sagte Dengler. »Ich brauche keine Quittung«,
sagte der Mann.
»Umso besser«, sagte Dengler und stand auf.
[ Menü ]
11
»Sie müssen Georg Dengler sein!«
Ein baumlanger Kerl in schwarzem Designeranzug kam in raumgreifenden Schritten auf ihn zu, weißes Hemd, schwarze Krawatte;
mit einer Sonnenbrille sähe er aus wie der dritte Man in Black, volles Haar, dunkelbraun, nach hinten gekämmt, interessantes Gesicht, erinnerte ihn an einen schlauen Fuchs, sehr freundlich,
wie ein Bankier, der einen Kunden empfängt, an dem er sehr viel Geld verdienen will. Als er vor ihm steht, sieht Dengler,
dass der Jackettkragen Mittlers weiß gesprenkelt von abgefallenen Haarschuppen ist.
Er reicht Dengler die Rechte, während er ihn mit der Linken an der Schulter in den großen Saal des Oggi zieht, an einen kleinen Tisch im hinteren Teil des Raumes. Dengler sieht von weitem das »Reserviert«-Schild auf dem Tisch,
ein Ober ist da, bevor sie sitzen.
»Champagner!« Ehe Dengler etwas sagen kann, schnippt Mittler mit dem Finger, und der Kellner ist wieder verschwunden.
Mit einer großen Geste nimmt er die Serviette und lüftet sie, sodass sie für einen Augenblick wie ein kleines Segel neben
dem Tisch schwebt, um sie dann mit einer hastigen Bewegung unter den Hemdkragen zu stopfen. Er ordnet das Besteck mit einer
überflüssigen Bewegung, sieht Dengler an und sagt: »Lassen Sie uns erst über das Geschäftliche reden.« »Ich nehme 75 Euro pro Stunde plus Spesen und Steuer«, sagte Dengler. Wirklich, ein toller Satz.
»Das ist nicht wenig«, sagte der Mann, »kann man da noch etwas machen?«
»Nein«, sagte Dengler; der Mann hätte diese Frage auch gestellt, wenn er umsonst arbeitete.
»Ach so.« Hans-Jörg Mittler schob seinen Stuhl ein Stück zurück.»Sie waren also beim BKA«, fragte er, »haben Sie ein Zeugnis oder eine Bestätigung oder irgendetwas?«
»Nein, rufen Sie in Wiesbaden an. Man kennt mich dort.«
»Na ja, schon gut. Sehr entgegenkommend sind Sie nicht«, sagte Hans-Jörg Mittler.
»Erzählen Sie mir noch einmal die Geschichte mit dem Absturz Ihres Schwiegervaters.«
»Des Vaters meiner Lebensgefährtin – wir sind nicht verheiratet«.
Der Kellner goss Champagner ein, die Männer prosteten sich zu.
»Wie werden Sie vorgehen, was ist Ihr Plan?«, fragte Mittler. »Ich muss zunächst alles erfahren, was Sie über den Absturz
wissen, ich muss alles über den Vater Ihrer Lebensgefährtin wissen und werde mit allen Leuten reden, die ihn gut kannten.«
»Auch mit Christiane?«
»Sicher.«
»Lassen Sie uns bestellen«, sagte der Mann, »ich kann Ihnen im Oggi besonders die Fischgerichte empfehlen.« Er beugte sich weit zu Dengler über den Tisch und verströmte den frischen Duft eines
nach Frühling riechenden teueren Herrenparfüms.
[ Menü ]
12
Aus ihm würde nie ein Scharfschütze werden. Er wusste es. Er brachte einfach die verschiedenen Abläufe nicht zusammen. Ihm
fehlte die Kraft, das Gewehr ruhig zu halten. Er verriss. Außerdem hatte er Angst, verdammte Angst. Sein Steckbrief hing überall
in Koblenz, er musste die Banken meiden, die Plakatwände und den Bahnhof. Er wäre gerne ein guter Schütze geworden, er
Weitere Kostenlose Bücher