Die blaue Liste
Gumma und die Endlosfassung von In-A-Gadda-Da- Vida. Er lernt Gitarre spielen und raucht hin und wieder einen Joint.
Als der Musterungsbescheid eintrifft, versetzt er dem Vater den entscheidenden Schlag. Beiläufig erzählt er beim Abendessen,
dass er den Kriegsdienst verweigern wolle. Zum ersten Mal verlässt der Vater den Familientisch. Ein süßer Sieg. Was würde
der Vater sagen, wenn er ihn jetzt sehen würde: in Uniform, auf dem Boden liegend, mit dem verfluchten Gewehr in der Hand,
wie er zielt, Kimme, Korn und Ziel in eine Linie bringt, die Atmung kontrolliert, den Haltepunkt sucht – und es nicht schafft.
Und da war sie wieder, seineStimme, wie damals, als er die Eltern in der Küche belauschte: »Er taugt nix, der Bub.«
»Das wird nichts mit dir«, sagte Heinz, und Uwe schoss das Blut ins Gesicht.
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13
Es war schon dunkel, als Dengler sich über den Ordner mit Presseberichten beugte, den Hans-Jörg Mittler ihm mitgegeben hatte.
Es war ein überraschend angenehmer Abend geworden, mit einem 1996er Brunello und einem Scheck über 2000 Euro Vorschuss, wobei
Mittler durchblicken ließ, es wäre ihm am liebsten, wenn damit die ganze Sache bezahlt wäre. Der Brunello schmeckte nach Johannisbeere, und Mittler meinte, er habe einen »schattigen Abgang«. Dengler
ließ ihn reden.
Der Wein und noch mehr der Scheck beschwingten Dengler, sodass er auf dem Nachhauseweg nicht mehr ins Basta ging, sondern sich noch einmal an den Schreibtisch setzte und sich aus den Zeitungsartikeln das Wesentliche herausschrieb.
Das Flugzeug stürzte am Sonntag, dem 26. Mai 1991, um 23:30 Uhr Ortszeit im Dschungelgebiet der thailändischen Provinz Suphanburi
ab, 170 Kilometer nördlich von Bangkok. Die Maschine sollte um 5:10 Uhr morgens Wien erreichen. Niki Lauda, Eigentümer der
Maschine und Betreiber der Fluglinie, erklärte, die Boeing sei erst achtzehn Monate in Betrieb. Sie sei bereits zwanzig Minuten
in der Luft gewesen und hatte die Reisehöhe erreicht. »Das ist die Phase, in der das Flugzeug am sichersten unterwegs ist«,
sagte er.
Die Süddeutsche zitierte einen Bauern aus der Region: »Es gab eine Explosion im Vorderteil des Flugzeugs, und die Kanzel stürzte ab wie ein
Feuerball.« In einem Winkel von 45 Grad sei die Maschine in einen hügeligen Bambuswald gerast. Die Toten und die Trümmer verstoben
auf einer Fläche von mehr als fünf Quadratkilometern im Urwald. Den Piloten, einen US-Bürger, fand man tot, aber immer noch
angeschnallt in seinem Sitz, das Cockpit war auf gespenstische Weise nahezu unversehrt zwei Kilometer von den ersten Rumpfteilen
entfernt gefunden worden.Zum Zeitpunkt des Absturzes herrschte leichter Nieselregen. Sofort nach dem Unglück eilten Hunderte von Bewohnern aus den
umliegenden Dörfern ins Absturzgebiet und plünderten, was sie brauchen konnten.
Es starben 223 Menschen, davon 17 Besatzungsmitglieder, die Opfer kamen aus achtzehn Ländern, aus Deutschland vier, aus Österreich
74 Personen.
An Bord der Maschine befand sich Don McIntosh, ein hochrangiger Rauschgiftfahnder der UNO, was in einigen Zeitungen zu Spekulationen
führte, die Maschine sei von thailändischen Rauschgiftbanden abgeschossen worden.
Es befand sich auch eine Arbeitsgruppe der Universität Innsbruck in der Maschine. Dengler nahm an, dass Paul Stein Mitglied
dieser Delegation gewesen war.
In den Artikeln, die Wochen später veröffentlicht wurden, schien man sich als Absturzursache auf einen technischen Defekt
zu einigen.
Das linke Triebwerk der Boeing schaltete urplötzlich die Schubumkehr ein, legte mitten im Flug den Rückwärtsgang ein.
* * *
Setz dich hin und denk nach!
Er griff sich ein Blatt Papier aus dem Vorratsbehälter des
Druckers. Aus der Innenseite des Jacketts zog er seinen Lamy
und schrieb mittig auf den weißen Bogen:
War Paul Stein in dem Flugzeug?
Angenommen, der Mann starb in der Maschine und hatte
trotzdem vorher seine Tochter angerufen – welche Ursachen
konnte es für diese Möglichkeit geben?
Er nahm den Füller und schrieb linksbündig:
Stein war in der Maschine
Grund: Das Flugzeug hatte Verspätung.
Dengler lehnte sich zurück und schloss die Augen. Dies war die einfachste und wahrscheinlichste Lösung. Er stellte sich einen
Geschäftsreisenden vor, der mit dem Taxi auf dem Flughafen ankommt, er schwitzt und ist in Eile, weil der Fahrer in einem
Stau stand, eine Panne hatte oder sich verfuhr. Jetzt ist die Abflugzeit vorbei.
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