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Die blaue Liste

Die blaue Liste

Titel: Die blaue Liste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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Der Mann hastet zum nächsten Telefon, um
     seine Tochter anzurufen, er teilt ihr mit, dass er eine Maschine später in Wien ankommen wird, kaum hat er jedoch den Hörer
     aufgelegt, wird er ausgerufen: Letzter Aufruf für Herrn Paul Stein – Sie werden gebeten, sich sofort zum Gate Soundso zu begeben.
     Keine Zeit mehr, seine Tochter erneut zu informieren, er hastet zum Gate, wird vielleicht als Letzter alleine in einem Bus
     zum Flugzeug gebracht, steigt in letzter Minute ein, alle sitzen schon drin und warten auf ihn, großes Hallo, hast du es auch
     noch geschafft – die Stewardess hilft ihm, das Handgepäck zu verstauen, er lässt sich in den Sitz fallen, ist froh, dass er
     es doch noch geschafft hat, und dann fliegt er in den Tod.
    Denk weiter nach!
    War die Boeing verspätet?
    Er nimmt sich noch einmal die Ordner vor. Es gibt keinen Anhaltspunkt für eine Verspätung. Keine Zeitung berichtet über diesen
     Punkt. Was bedeutet das? Nichts.
    Er nimmt ein zweites Blatt Papier aus dem Drucker und schreibt:
    Aufgaben
    • Hatte die Maschine Verspätung?
    Aber selbst angenommen, die Maschine war verspätet: Würde ein Mann so reagieren? Dengler stellte sich vor, wie er selbst abgehetzt
     mit zwei schweren Koffern aus dem Taxi stürmt. Er würde sofort den Flugschalter suchen oder zur nächstgelegenen Abflugtafel
     stürzen und erst dann, wenn er sicher wäre, dass die Maschine bereits gestartet war, würde er die Tochter anrufen.
    Nächste Möglichkeit: Vielleicht war es aber auch so, dassman ihm am Flugschalter sagte, die Maschine sei schon weg, aber diese Auskunft war falsch, denn kaum hängte er den Hörer in
     die Gabel, hörte er den Lautsprecher: »Letzter Aufruf für Herrn Stein.«
    Er nahm noch einmal das Blatt mit der Überschrift Aufgaben und schrieb:
    • Ist der Flughaften Bangkok gut organisiert?
    Er würde Mario fragen. Mario war schon oft nach Thailand geflogen, um auf einer der Inseln im Süden seinen Urlaub zu verbringen.
    Denk weiter nach!
    Spuren! Wenn Stein nicht in dem Flugzeug saß, würde das auch Spuren hinterlassen. Ein leerer Flugsitz. Eine entsprechende
     Buchung in der Passagierliste. Aufrufe, an die sich das Personal oder andere Flugreisende möglicherweise noch erinnern. Auch
     nach so vielen Jahren?
    Er nahm das zweite Stück Papier und notierte unter Aufgaben:
    • Was sagt die Passagierliste?
    Dann nahm er das erste Blatt zur Hand und notierte die zweite Möglichkeit:
    Stein war nicht in der Maschine, er hat sie tatsächlich verpasst. Er meldet sich nicht mehr bei seiner Familie, weil:
    • Er wurde überfallen.
    Dengler stellte sich vor, wie er selbst nach dem Telefonat in ein Taxi oder einen Bus oder einen Zug steigt, um nach Bangkok
     Downtown zurückzufahren. Das Taxi hält in einer dunklen Ecke, zwei Männer springen herein, ziehen ihn aus dem Wagen, ein Messer,
     ein Schlag mit einem schweren Gegenstand. Welche Spuren würde ein solcher Überfall zurücklassen? Keine, möglicherweise.
    • Er nutzte die Gelegenheit, die Familie zu verlassen und ein neues Leben anzufangen.
    Auch dieses Szenario konnte man sich denken. Ein Mann sagt zu seiner Frau, er gehe Zigaretten holen, nur eben malum die Ecke, und kommt dann nicht mehr zurück, verschwindet dann für zehn Jahre oder für immer. In diesem Fall nimmt Stein
     eine Gelegenheit wahr: den Absturz des Flugzeugs. Er kommt zu spät zum Flughafen. Die Maschine ist schon weg. Dann trifft
     die Nachricht von dem Absturz ein. Dengler schließt die Augen: Er stellt sich den Mann vor, wie er in einer Ecke des Flughafens
     steht, Chaos um ihn herum, Menschen weinen, die eben noch ihre Verwandten zum Abflug gebracht haben; der Mann überlegt, das
     ist seine Chance, jetzt kann er verschwinden, jeder wird ihn für tot halten. Er sieht ein Fernsehteam, das Kamera und Scheinwerfer
     aufbaut. Es wird Zeit; der Mann, der in Denglers Vorstellung merkwürdigerweise einen hellgrünen Regenmantel trägt, dreht sich
     um und geht vorsichtig durch die Glastüre zum Taxistand zurück.
    Aber wenn es so wäre, ginge der Mann zwei Risiken ein: das Telefonat mit seiner Tochter. Sie wüsste, dass er überlebt hat.
     Und zum Zweiten wäre Stein auf die Flucht in sein zweites Leben nicht vorbereitet. Er müsste Geld abheben und all jene Planung
     nachholen, die der Mann, der angeblich eben mal Zigaretten kaufen geht, längst abgeschlossen hat. Die Frage nach dem Wohin,
     wie kommt er unbemerkt aus Thailand fort – oder ist er dort geblieben? Die

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