Die blaue Liste
Horoskop für den morgigen Tag hören?«, fragte ihn Martin Klein, nachdem er sich zu ihm an einen
runden Holztisch gesetzt hatte, »ich habe mir die Horoskope erst vor einer halben Stunde ausgedacht, sind noch druckfrisch.«
»Ich kenne meinen morgigen Tag bereits. Schwere Grippe, Fieber und schlechte Laune tagsüber und am Abend ein sensationelles
Essen bei meinem Freund Mario.«
»Welches Sternzeichen sind Sie?«
»Widder.«
»Na, mal sehen«, sagte er und blätterte in einem Stapel Computerausdrucke. »Widder, da haben wir ihn. Fangen wir mit dem Wichtigsten
an: In Liebesdingen sollten Sie unbedingt die Augen offen halten. Es begegnet Ihnen Ihre Wunschpartnerin, aber es ist nicht
sicher, dass Sie sie auch wirklich erkennen. Seien Sie aufmerksam und lassen Sie sich nicht durch Ihre alltäglichen Sorgen
den Blick verstellen.«In diesem Augenblick betrat Olga das Basta.
»Soll ich weiterlesen?«, fragte Klein, aber Dengler hörte ihn nicht mehr.
Olga schloss einen schwarzen Herrenschirm und quetschte ihn in den Ständer neben dem Eingang. Sie trug eine dunkelgrüne Öljacke,
die vom Regen glänzte und in der sich schwer das Licht des Restaurants brach, während sich in ihren Haaren einzelne Regentropfen
verfangen hatten, die glitzerten und funkelten, als seien sie kostbare Diamanten, die ihr ein unbekannter Verehrer geschenkt
hatte.
»Und, wie gefällt es Ihnen?«, fragte Klein. »Wollen Sie noch etwas über Ihre finanziellen Möglichkeiten hören?«
»Lieber nicht«, sagte er und starrte in Olgas Richtung.
»Da sieht es auch gar nicht gut aus«, murmelte Klein.
Olga stand an der Bar und sprach mit einem hoch gewachsenen Mann, der schulterlange schwarze Haare hatte und eine glänzende
schwarze Lederhose trug.
Er mochte den Kerl nicht.
Stopp. Denk nach!
Es ist unsinnig, auf einen Mann eifersüchtig zu sein, den man gar nicht kennt – wegen einer Frau, die gar nichts von dir will.
Du hast dich nicht unter Kontrolle. Es kam ihm vor, als habe sich in seinem Leib eine Sehnsucht aufgebaut, die sich nun irgendwie Bahn brechen wollte – die sich an irgendeine Frau heften wollte.
Eine vagabundierende Sehnsucht!
Eine Sehnsucht, die ihn wieder einmal unglücklich machen würde.
Er wollte das nicht mehr.
Dreh dich jetzt nicht um, sieh nicht nach, ob sie noch mit dem Kerl am Tresen spricht.
Sie stand immer noch an der Theke, plaudernd mit der Lederhose; sie lachte, hob ein Glas Rotwein an die Lippen, und sofort
stellte Georg sich vor, wie er diesen Mund küssen würde.
Schluss.
Er wandte sich um, zu Klein, der neben ihm saß und in seinen Horoskopen las.
»Sagen Sie, vorgestern haben Sie mir doch erzählt, dass Sie einfühlsam seien wie ein Psychologenkongress.«
Klein nickte und blätterte weiter in seinen Unterlagen.
»Vielleicht können Sie mir einen Rat geben«, sagte Dengler. Klein legte die Papiere zur Seite und sah ihn über den Rand seiner
Brille hinweg an.
»Stellen Sie sich eine Ehefrau vor«, sagte Dengler, »Anfang vierzig, nicht sehr schön, aber auch nicht hässlich, sondern völlig
normal, verheiratet mit einem dicken Mann, kein schlechter Typ, die Ehe mit ihm auch völlig normal. Dann will diese Frau etwas
Besonderes erleben, mehr Erotik, und sie gibt eine eindeutige Anzeige auf. Wahrscheinlich bekommt diese Frau hundert oder
zweihundert Antworten. Was meinen Sie, welchem Typ von Mann würde eine solche Frau auf jeden Fall antworten?«
Bevor Klein antworten konnte, warf Dengler einen kurzen Blick über die Schulter. Olga stand immer noch an der Bar, sie winkte
zu ihrem Tisch, zu Martin Klein, aber als der sie nicht sah, zuckte sie mit der Schulter und wandte sich wieder dem Typ in
der Lederhose zu.
»Einem Arzt würde sie auf jeden Fall antworten«, sagte Klein.
»Warum einem Arzt?«
»Ich weiß auch nicht, warum. Aber Ärzte wirken unwiderstehlich auf Frauen. In meinem nächsten Leben werde ich auch einer.
Wissen Sie das Sternzeichen der Dame?«
»Nein, das weiß ich nicht.«
»Guten Abend, die Herren.«
Olga setzte sich zu ihnen an den Tisch.
Denglers Herz trommelte unvermittelt wie das Schlagzeug einer Heavy-Metal-Band.
»Unser Freund hier ist in eine romantische Angelegenheit verwickelt und braucht unseren Rat«, sagte Martin Klein.»Ach nein«, sagte Olga. Sie sah Dengler an, spöttisch, die linke Braue hob sich.
Er verfluchte Klein und wollte etwas sagen. Sein Herz pumpte jeden Tropfen Blut aus seinem Kopf und pochte dabei so laut,
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