Die blaue Liste
dass es den Kneipenlärm übertönte. Sein Mund war trocken wie die Sahara und das Hirn leer.
Ein sinnvoller Satz! Er müsste jetzt einen sinnvollen Satz sagen. Im fiel keiner ein. Sein Hirn war leer wie das Universum
vor dem Urknall.
Ich brauche einen sinnvollen Satz!
Er kramte noch danach, als Klein alles noch schlimmer machte.
»Er will auf eine Kontaktanzeige antworten.«
Olga sah ihn an, ihre linke Augenbraue rutschte noch weiter nach oben, und Dengler wünschte sich an einen anderen Ort, irgendeinen
– Wüste Gobi angenehm.
»Jetzt braucht er ein paar Tipps von uns, wie er das anstellen soll«, fuhr Klein fort, und Dengler überlegte, ob er ihn an
seinem Knitter-Leinen-Jackett schnappen und über den Tisch ziehen sollte.
»Ach was, das war eine berufliche Frage«, brachte er hervor und stand auf. Er sah noch, wie Olgas spöttischer Blick ihm folgte,
und er war sich sicher, dass dieser Blick ihn noch Jahre verfolgen würde. Sein Herz klopfte, aber er wusste aus früherer Erfahrung,
von seinem inneren Sturm sah niemand etwas. Äußerlich wirkte er ruhig, vielleicht sogar arrogant, während sein Inneres in
Flammen stand. Die wenigen Schritte zur Tür schienen ihm unerträglich – so musste das Fegefeuer sein.
Als er sich in seinem Arbeitszimmer in den Sessel vor dem Computer fallen ließ, atmete er immer noch schwer.
Vagabundierende Sehnsucht.
Pass auf dich auf.
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16
»Liebling, ich habe heute einen Privatdetektiv beauftragt. Wir sprachen darüber, du erinnerst dich bestimmt«, rief er durch
die geschlossene Badezimmertür.
Mittler stellte für einen Moment das Wasser ab und lauschte durch die Tür. Er wusste nicht, wie Christiane reagieren würde
– und wusste es doch ganz genau.
Die beiden kannten sich seit anderthalb Jahren, und das hieß, ihre Begegnung war an jenem kritischen Punkt angekommen, an
dem eine Liebe ein neues, auf jeden Fall aber ein festeres Fundament braucht oder stirbt. Es war ihnen gelungen, die sexuelle
Obsession, die bei den meisten Paaren kaum sechs Monate dauert, nun über ein Jahr zu halten, was beide erstaunte und ihre
Überzeugung verdichtete, endlich den Partner fürs Leben gefunden zu haben. Tatsächlich führte jedoch Christianes Abwesenheit
– als Dokumentarfilmerin war sie oft wochenlang unterwegs – zu jener Verlängerung der sexuellen Gier, die beide in Erstaunen
versetzte.
Hans-Jörg faszinierte die unschuldige Schamlosigkeit, mit der Christiane seinen Wünschen folgte. Er bat sie um Dinge, die
er sich bei seinen ersten Puffbesuchen nicht einmal die Huren zu fragen traute. Es fiel ihm schwer, anfangs, überhaupt irgendwelche
Wünsche zu äußern, selbst ein harmloses »Dreh dich um« verursachte ihm zu Beginn ihres Kennenlernens regelrechtes Herzrasen
und verlangte die Überwindung seiner diffusen Angst, in einer solch intimen Situation zurückgewiesen zu werden. Doch dann
wurde er mutiger und wollte die Grenze kennen lernen, bis zu der Christiane zu gehen bereit war. Als ihm klar wurde, dass
die einzige Grenze die seiner Fantasie und Wünsche war, vertiefte gerade dies ihre Raserei. Ähnliches hatte Mittler noch nie
erlebt.
Christiane erschauerte vor dem fast heiligen Ernst, der Aufmerksamkeit und Konzentration, mit der Hans-Jörg mit ihrschlief. Die Anspannung, ja dieses konzentrierte Interesse, allein auf sie bezogen, kannte sie nicht. Bei ihren bisherigen
Liebesgeschichten (meist Redakteure oder Kameramänner des SWR) spürte sie immer, dass die Männer sie insgeheim mit ihrer Vorgängerin
oder ihren Vorvorgängerinnen verglichen, und sie entwickelte ein inneres Sensorium für die Frauen, die unsichtbar mit ihr
im selben Bett lagen. Hans-Jörgs Hingabe begeisterte sie, und sie nahm sich fest vor, diesen Mann nicht zu enttäuschen.
Doch seit einigen Monaten bemerkte sie, wie der sexuelle Taumel abklang, ihr Blick auf ihn wurde ungewollt wieder schärfer,
und sie nahm seine nichtsexuellen Eigenschaften deutlicher wahr. Wie eine leichte Irritation störten sie nun Dinge, die sie
vorher nicht bemerkt oder die sie in Kauf genommen, vielleicht auch als unwesentlich abgetan hatte. Da war zum Beispiel Hans-Jörgs
umfassende, zunehmend erdrückend wirkende Fürsorge. Im ersten Jahr verwechselte sie diese Eigenschaft mit Ritterlichkeit und
Anteilnahme, und natürlich beneideten sie alle Freundinnen und Kolleginnen, denen sie Hans-Jörg vorführte. Wenn sie abends
essen gingen, reservierte er immer
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