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Die blaue Liste

Die blaue Liste

Titel: Die blaue Liste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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einen Tisch. Ihr Lieblingswein, ein Chianti classico aus Gambassi Terme, ging in seiner
     Küche nie aus, er kaufte alle Van-Morrison-CDs, als sie einmal mitten auf der Königstraße mit ihm tanzte, weil ein irischer
     Straßensänger Moondance spielte – ihren Morrison-Lieblingssong. Er kümmerte sich um sie. Er weinte, als sie ihm die Geschichte von dem Absturz ihres
     Vaters erzählte, und zwei Tage später legte er ihr eine Liste mit fünf Therapeuten vor, die sich auf Traumata spezialisiert
     hatten, wie er ihr sagte, und die auch Frauen aus Bosnien behandelten.
    Vielleicht hätte sie an diesem Punkt schon vorsichtig werden sollten, aber wegen des Abklingens ihrer Verliebtheit fühlte
     sie sich merkwürdig schuldig, und so beschloss sie, diese Liste rührend zu finden. Aus dieser Mischung von schlechtem Gewissen
     und Sentimentalität umarmte sie ihn und zog ihnins Schlafzimmer. Dabei wusste sie, sie benötigte keine Therapie. Sicher, sie träumte oft von ihrem Vater und wachte schweißgebadet
     auf, und das Geheimnis seines Anrufes beunruhigte sie noch immer, aber alles in allem, glaubte sie, hatte sie die Sache im
     Griff.
    Bedauerlicherweise ließ sich Hans-Jörg davon nicht überzeugen. Er schien geradezu besessen von der neuen Aufgabe zu sein.
     Als sie keinen Therapeuten aufsuchte, vereinbarte er für sie einen Termin, und sie ärgerte sich zum ersten Mal über ihn. Natürlich
     ging sie nicht hin, er aber dachte, sie wolle einen anderen Arzt, und vereinbarte einen weiteren Termin mit einem neuen Psychotherapeuten.
    Vor drei Tagen hatte sie abends beim Zubettgehen seinen Kopf in beide Hände genommen und ihn so gezwungen, ihr in die Augen
     zu sehen. Sie erklärte ihm in ruhigem Ton, dass sie keine therapeutische Hilfe benötige, dass sie seine Fürsorge schätze,
     dass diese manchmal aber zu viel sei, dass er sich um sie keine Sorgen machen solle, auch wenn sie sich natürlich wünsche,
     dass sie sich erklären könne, wie ihr Vater sie nach dem Start des Flugzeugs anrufen konnte, um dann doch in dem abgestürzten
     Flugzeug zu sterben.
    Sie dachte, die Sache sei nun ausgestanden.
    Deshalb schien es ihr, als habe sie sich verhört, als sie seine Stimme aus dem Bad vernahm, eine Stimmlage höher, in diesem
     unangenehmen, unterwürfigen Ton. Er hatte das Gespräch, bei dem sie sich so bemüht hatte, offensichtlich völlig ignoriert.
    Er nahm sie nicht ernst.
    Wie konnte er es wagen, sich derart grob in ihr persönlichstes Problem zu mischen?
    Einen Privatdetektiv zu engagieren!
    Das war doch lachhaft.
    Und unverschämt.
    Er tickt nicht mehr richtig!
    »Liebling, hast du verstanden, was ich eben gesagt habe?«Die Stimme – noch eine Tonlage höher.
    Widerlich!
    Mit wenigen großen Schritten stand sie vor der Badezimmertür und riss sie auf.
    Sie brüllte ihn an.
    Zum ersten Mal.
    Als sie fertig war und ihn ansah, mit dem verrutschten Badetuch um die Hüfte, und in ein Gesicht voller Unverständnis starrte,
     in diese Ich-hab-ja-nur-Dein-Bestes-gewollt-Miene, wusste sie, dass er nichts begriffen hatte.
    »Du sagst ihm morgen wieder ab«, sagte sie.
    »Aber ich hab ihn schon bezahlt.«
    Er würde diese Komödie nicht beenden.
    »Gib mir die Telefonnummer. Ich mach's selbst.«
    Hans-Jörg taumelte aus dem Bad, das Handtuch verfing sich an der Türklinke, und er tappte nackt in die Küche, wo er seinen
     rotledernen Pilotenkoffer abgestellt hatte. Er nahm den Filofix heraus und schrieb Denglers Telefonnummer auf ein leeres Blatt,
     das er Christiane reichte, die schweigend im Wohnzimmer wartete. Sie nahm es, ging immer noch schweigend zur Garderobe, wo
     sie den Regenmantel überzog, und verließ die Wohnung.
    Die Tür knallte.
    Morgen sage ich als Erstes dem Detektiv ab.
    Und für diese Nacht suche ich mir ein Hotel.

[ Menü ]
    17
    Dengler schaltete den Rechner ein und rief die Seite von Yahoo auf. Langsam normalisierte sich seine Atmung. Nach diesem Erlebnis
     kann ich mir die geringste Hoffnung auf Olga ersparen.
    Es dauerte eine Weile, bis er sich eine neue E-Mail-Adresse angelegt hatte. Sie hieß: Kranker_Doktoryahoo.de.
    An: [email protected]
    Liebe Unbekannte, ich glaube, dass wir seelenverwandt sind. Ein
    Ihnen noch unbekannter Arzt fühlt wie Sie, und er glaubt, dass wir
    zu zweit die richtige Therapie finden können.
    Ihr [email protected]
    Er drückte den Senden-Knopf, und weg war sie, die Nachricht an die unbekannte Frau.
    Er stand auf. Plötzlich spürte er wieder das nasse Hemd.

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