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Die blaue Liste

Die blaue Liste

Titel: Die blaue Liste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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Ihm war kalt. Er fühlte sich einsam. Langsam ging er ins Schlafzimmer.
     Er zog sich aus. Irgendwo mussten noch die schwarzen Baumwollstrümpfe sein, die Hildegards Mutter ihm bei seinem einzigen
     Besuch in Hermeskeil geschenkt hatte. Neue Jeans. Der schwarze Pullover. Und ein Rotwein. Da war noch die eine Flasche Merlot.
     Er schlurfte zur Küche und öffnete die Flasche, goss sich ein Glas ein, trank einen Schluck und wusste nicht, was er jetzt
     tun sollte.
    Meist half dann Junior Wells. Er zog eine ältere CD aus dem Ständer. Wells als junger Mann auf dem Cover, mit einem Glas Schlitz-Bier
     hinter der Theke in Theresa's Lounge in Chicago. Er legte die Scheibe in das Abspielgerät, und Juniors kleine Mundharmonika füllte den Raum. Lang und silbern lag
     der Ton in der Luft, bevor er sich an den Abstieg machte, aber Junior ließ sich Zeit, verweilte auf verschiedenen Absätzen;
     dann sang er:
    Oh, Hoodoo man
    I'm just tryin' t'make her understand
    Er ging ins Nebenzimmer und wühlte in seinen unausgepackten Kartons. Irgendwo mussten doch seine Mundharmonikas sein, die
     Mississippi-Saxofones. Er fand sie in einer alten dunkelblauen Pappschachtel und wählte eine Lee Oscar in D, setzte sich aufs
     Bett und spielte mit Junior im Duett. Es tat ihm gut.
    Das Klopfen an der Tür überhörte er fast. Beschwerte sich jemand, weil die Musik zu laut war? Er drehte den Ton leiser und
     öffnete.
    Vor der Tür stand Olga.
    »Was für eine schöne Musik«, sagte sie.
    »Chicago Blues«, sagte Dengler.
    »Darf ich eine Weile zuhören?«, fragte sie und trat ein, als er nickte.
    Er brachte ihr ein Glas Merlot, und sie dankte es mit einem Kopfnicken.
    »Spielen Sie bitte weiter«, sagte sie zu ihm und sah auf seine Lee, die er immer noch in der rechten Hand hielt.
    Merkwürdigerweise tat er, was sie wollte. Er lehnte sich gegen die Wand und blies, lang und klagend.
    »Waren Sie schon einmal in Chicago?«, fragte sie nach einer Weile.
    »Leider nein«, sagte Dengler und setzte die blues harp ab.
    »Und, würden Sie gerne einmal hinfahren?«
    »Ja. Das würde ich sehr gerne.«
    Olga nickte und schwieg. Er setzte das Instrument wieder an die Lippen und spielte.
    Als die CD zu Ende war, sagte Olga: »Das war wunderschön.«
    Sie stand auf und ging. Dengler rührte sich nicht.

[ Menü ]
    18
    »Bundeskriminalamt Wiesbaden, guten Morgen«, sagte eine männliche Pförtnerstimme.
    »Bitte geben Sie mir Hauptkommissar Jürgen Engel von der Identifizierungskommission«.
    »Wie ist Ihr Name?«
    »Georg Dengler.«
    »Einen Augenblick bitte.«
    Hauptkommissar Engel hob den Hörer nach dem dritten Klingeln ab. Er schien sich zu freuen, Denglers Stimme zu hören. Vor vier
     Jahren hatten sie zusammen an dem Bericht über das Kaiserslauterer Attentat gearbeitet. Engel war damals zu der Ermittlungsgruppe
     der Amerikaner delegiert worden, die die Identifizierungsarbeiten an den Überresten von General Highcourt und seinem Fahrer
     durchführten. Die beiden Hauptkommissare fanden sich sympathisch, und jeder von ihnen nahm sich vor, nach Abschluss der gemeinsamen
     Arbeit das gute Verhältnis in einer Männerfreundschaft weiterzuführen, aber als der Bericht geschrieben war, übernahm jeder
     von ihnen neue Aufgaben, und sie verloren sich aus den Augen, doch blieb jedem eine angenehme Erinnerung an den anderen.
    Nun, da beide einen Augenblick lang mit einem Anflug von Trauer der verpassten Freundschaft gedachten, entstand eine kleine
     Pause.
    »Du hast deine Angewohnheit beibehalten, samstagmorgens deine liegen gebliebenen Sachen aufzuarbeiten«, sagte Dengler schließlich.
    »Du scheinbar auch«, sagte Engel.
    »Ich möchte dir ein paar Fragen zu dem Absturz der Lauda-Air am 26. Mai 1991 stellen«, sagte Dengler.
    Engel zog hörbar die Luft ein: »Der schlimmste Einsatz meines Lebens.«
    »Wie schlimm?«
    »Ich kündigte danach. Fristlos. Ging einfach nach Hause zu meiner Familie. Saß nur rum. Trank. Soff wirklich alles, was mir
     unter die Finger kam, sogar Jägermeister. Nach vierzehn Tagen kam mein Chef und brachte mir die Kündigung zurück. Wäre er
     nicht gekommen, hätte mich meine Frau rausgeschmissen. Dann würde ich heute als irrer Obdachloser durch Wiesbaden schleichen
     und für einen Wermut Dienstgeheimnisse ausplaudern.«
    Dengler fragte sich plötzlich, ob Engel wusste, dass er nicht mehr beim BKA arbeitete. Er beschloss, nichts dazu zu sagen.
    »Was war so schlimm an dem Einsatz?«, fragte er stattdessen. »Georg, ich

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