Die blaue Liste
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19
Am Dienstag brachte Kerstin die ersten Zeitungen in die Wohnung. »So eine Scheiße«, rief sie und feuerte die Süddeutsche in den Papierkorb, »die schreiben, die Mafia sei am Werk gewesen. Oder die Stasi. Die denken nur an Geheimdienste. Wo verdammt
nochmal hast du das Bulletin hingelegt?«
»Direkt neben den Campingstuhl.«
»Wieso haben sie das nicht gefunden? Wieso denken die, dass die Mafia oder die Stasi geschossen hat? Das war die RAF, die
RAF, die RAF, verdammt nochmal.«
»Der Brief liegt bestimmt bei der Polizei, sie werden schon was drüber schreiben«, sagte Heinz und zog eine neue Packung Reval
aus der Brusttasche seines Hemdes.
Die Stimmung sank auf den absoluten Tiefpunkt.
Die Abendnachrichten brachten endlich die Erlösung. Die Rote Armee Fraktion bekenne sich zu dem Attentat, war die erste Meldung
der Tagesschau. Kerstin und Uwe rollten sich vor dem Fernseher zusammen, Heinz zog sich in das hintere Zimmer zurück. Dort blieb er zwei Tage,
und Uwe und Kerstin bemerkten seine Anwesenheit in der Wohnung nur an dem gelegentlichen Rauschen der Toilettenspülung und
an dem drückenden Gestank seiner Revals, der trotz geschlossener Tür in die anderen Räume drang.
»Was sagen die Leute in Leipzig und im Osten, dass der Tyrann tot ist?«, wollte Uwe wissen. Es gab keine Interviews aus Leipzig.
Am dritten Tag verließ Heinz sein Zimmer und erklärte, dass er nun fahren würde.
»Wir bleiben in Verbindung«, sagte er und gab Kerstin einen Zettel mit einer Telefonnummer, »das ist die Nummer von Klaus
Steinmetz, der ist auch aus Wiesbaden. Kennt ihr ihn?« Sie schüttelten die Köpfe.
»Er ist ein zuverlässiger Genosse. Die Nummer ist sauber.Nehmt zu ihm Kontakt auf. Wir bleiben über ihn in Verbindung.«
Heinz nahm den Anglersack, in dem das Gewehr versteckt war, und steckte sich eine neue Reval an.
»Ich bring dich noch runter«, sagte Uwe.
»Sei vorsichtig«, sagte Kerstin.
Die beiden gingen die Treppen hinunter.
Als sie im Hausflur im Erdgeschoss standen, sagte Uwe: »Tut mir echt Leid, dass ich das mit dem Schießen nicht gepackt habe.
Ich meine«, er stockte einen Augenblick, »dass du das selbst machen musstest.« Der Fahlgelbe knurrte irgendetwas zwischen
den Zähnen hervor, das Uwe irrtümlich als Freundschaftsgeste deutete. Er ging auf ihn zu und wollte ihn in den Arm nehmen.
Heinz zuckte zurück, als habe ihn ein giftiges Insekt gestochen.
Er starrte Uwe an und dachte: Wir müssen ihn umlegen. Wenn wir dieses kleine Arschloch eines Tages hochnehmen, müssen wir
ihn umlegen.
Dann ging er.
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20
Bei dem zweiten Gespräch des Tages hörte er Marios verquollene Stimme am anderen Ende der Leitung.
»Georg, um Himmels willen, warum rufst du mitten in der Nacht an? Du willst doch nicht unser Essen heute Abend absagen?«
»Nein, entschuldige, ich wusste nicht, dass du noch schläfst. Es geht nur um eine Frage.«
»Ich hatte Gäste bis um vier in der Früh, im St. Amour. Bin noch voll fertig. Eine schwierige Frage?«
»Nein. Ganz kurz: Du bist doch oft nach Thailand geflogen. Wie ist der Flughafen in Bangkok organisiert, funktioniert er,
ist er pünktlich?«
»Bangkok? Pünktlich? Machst du Witze? Ich bin von dort höchstens ein oder zwei Mal pünktlich abgeflogen.«
»Was machen die, wenn ein Flugpassagier nicht erscheint?«
»Früher haben sie Stand-by Leute an Bord geholt. Ich bin auch oft so geflogen. Du gehst an den Flughafen und wartest, dass
ein Platz nicht besetzt ist, der Passagier nicht erscheint. Dann nimmst du den Platz und bezahlst nur den Bruchteil des Flugtickets.
Früher bin ich oft einfach an den Stuttgarter Flughafen gegangen, und dann bin ich gerade dorthin geflogen, wo ein Platz in
irgendeiner Maschine frei war. Aber ob es das heute noch gibt, weiß ich nicht.«
»Danke Mario, du hast mir geholfen, tut mir Leid, dass ich dich geweckt habe.«
»Sei heut Abend um sechs da«, sagte Mario und legte auf.
* * *
Nach dem Gespräch mit Mario schaltete er seinen Rechner ein und fuhr das Betriebssystem hoch. Er loggte sich ins Netzein und rief die Google-Suchmaschine auf, mit der er die Homepage des Internationalen Roten Kreuzes in der Schweiz fand. Mit
wenigen Mausklicks fand er die Seiten mit vermissten Personen.
Seit er die Anwendung das letzte Mal benutzt hatte, 1995 im BKA, als er einen untergetauchten Bauunternehmer suchte, hatte
sich die Homepage des IRK zu ihrem Vorteil verändert. Er brauchte nun nicht mehr
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