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Die blaue Liste

Die blaue Liste

Titel: Die blaue Liste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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nahmen. Die
     sich kümmern. Strukturen! Die können doch nicht einfach alles selber machen. Betriebsräte! Vertreterversammlungen. Ausschüsse.
     Paritätische Kommissionen.«
    Er schwitzte jetzt und stürzte noch ein Glas hinunter. Sein Gesicht war nun gefährlich gerötet. Bluthochdruck, vermutete Dengler.
    »Haben Sie je gesehen, dass Stein an einer Liste arbeitete, auf blauem Papier gedruckt?«
    Heidrich verzog fragend das Gesicht. Er hatte offensichtlich nichts von einer blauen Liste mitbekommen.
    Dengler erhob sich: »Stein meinte, die Menschen könnten für sich selbst sorgen?«
    »Das meinte er. Alles Quatsch. Sehr edel, aber alles Quatsch.« Dengler sagte: »Aber Sie haben doch auch gut für sich sorgen
     können.« Und beschrieb mit einer Geste Heidrichs Haus, seine teuren Möbel und den Alkohol.
    Dann ging er.
    * * *
    »Stein war ein gefährlicher Utopist. Einer, der sich für andere aufopfert, einer, dem nur die höchsten Werte gut genug waren.
     Obwohl er Wirtschaftswissenschaftler war. Normalerweise wissen die, wie die Sache läuft. Und in der verrückten Zeit damals
     hätte er beinahe Erfolg gehabt.«
    »Wieso?«
    »Der damalige Präsident wollte die Betriebe der alten DDR sanieren. Und dann erst privatisieren. Das bedeutete: neueKonkurrenten, keine Ausdehnung der Märkte. Und dann kam Stein mit seinen Genossenschaften.«
    »Sie hielten ihn für gefährlich?«
    Dengler sah Peter Hänsel mit hochgezogenen Brauen an.
    »Seine Ideen, Herr Dengler. Seine Ideen waren gefährlich, hochgefährlich. Wenn sein Konzept umgesetzt worden wäre – es hätte
     einen Flächenbrand ausgelöst. Nirgends hätten wir einen unrentablen Laden dicht machen können, weil die Leute ihn dann in
     eigener Regie weiterführen wollten. Stein spielte mit dem Feuer. Er selbst war ein schmaler älterer Herr, der niemandem etwas
     zuleide tun konnte. Aber er war ein Eiferer.« Er lehnte sich in seinem schwarzen Ledersessel zurück und warf einen Blick aus
     dem großen Fenster – von hier oben hatte er einen grandiosen Überblick über die Frankfurter City; Dengler sah von weitem den
     Henninger-Turm.
    »Wissen Sie, Herr Dengler, Leute mit Ideen, mit Idealen, sind per se gefährlich. Utopisten sind Terroristen. Wie die Taliban,
     oder wie diese Verrückten in Afghanistan mit ihren Bärten da heißen. Der Mensch strebt nach Geld. So ist er nun mal; er denkt
     nur an sich selbst, vielleicht noch an seine Kinder. Aber dann ist Schluss. Manche finden das schlimm, aber das macht ihn
     auch berechenbar. Stein wollte etwas für andere tun. Das machte ihn völlig unkalkulierbar. Wie wollen Sie mit einem Mann über
     Geschäfte reden, der das Wohl der Menschheit im Auge hat?«
    »Was wollte Stein denn genau?«
    »Der hätte gerne das gesamte Volksvermögen an die Ossis verteilt.«
    »Aber gehörte es denn denen nicht?«
    »Den Montagsdemonstrierern! Die Ossis haben uns damals genug Ärger gemacht.«
    Dengler sah sich in Hänsels Büro um. Sie saßen an einem Besprechungstisch aus Mahagoni. Sein Schreibtisch stand zehn Meter
     dahinter. Ein Stapel Postmappen lag auf derspiegelblanken Fläche. An der Wand hingen mehrere Originale, Dengler glaubte einen Grieshaber zu erkennen.
    »Da kam Ihnen der Tod des Präsidenten ja gerade recht«, sagte Dengler.
    Hänsel hob die Hände: »Eine schreckliche Sache. Besser wäre gewesen, er wäre irgendwie abberufen worden.«
    Sie schwiegen eine Weile.
    »Habe ich Ihnen helfen können?«, beendete Hänsel das Gespräch.
    »Eine Frage noch: Haben Sie während Ihrer Zeit bei der Treuhand gesehen, dass Stein an einer Liste auf blauem Papier arbeitete?
     Wissen Sie etwas davon?«
    Sein Gesprächspartner sah ihn irritiert an: »Blaues Papier? Nein, wirklich nicht.«
    Dengler stand auf und verabschiedete sich.
    * * *
    Den ehemaligen Direktor des Elektronik-Kombinates besuchte er in der Rehabilitationsklinik in Radolfzell. Das große Gebäude
     der LVA erhob sich schwer gegen das silberne Band des Bodensees zum Himmel. Hans Bierlein empfing Dengler in der Cafeteria
     der Klinik.
    Er war früher ein stattlicher Mann gewesen, doch jetzt wirkte er eingefallen und hilflos. Der hellgraue Trainingsanzug schlotterte
     um seine Beine; nur der mächtige Schädel mit den grauen Borsten wirkte nicht geschrumpft.
    Bierlein erhob sich mühsam und stützte sich auf einen schwarzen Stock, als Dengler ihm in die Hand gab.
    Als er sich setzte, fuhr die Luft mit einem melancholischen Pfeifen aus seinen Lungen.
    »Sie wollen mit

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