Die blaue Liste
mir über die Zeit bei der Treuhand reden«, sagte er zu Dengler. »Das war keine gute Zeit.«
»Warum?«»Mögen Sie lieber cash cow oder cash flow?«
»Bitte?« Dengler verstand den Mann nicht.
»Ziehen Sie Kaizen oder Total Quality Management vor?«, fragte Bierlein.
Dengler runzelte die Stirn und wartete.
»Kompetenz entwickelt sich nur durch Konvergenz«, sagte Bierlein nun.
Er fixierte Dengler.
»So ging es mir bei der Treuhand«, sagte er nun, unterbrochen von einem Hustenanfall, der ihm eine ungesunde Röte ins Gesicht
trieb.
»Ich verstand kein Wort von dem, was die Wessis dort redeten. Die sprachen halb Englisch, halb Deutsch, und ich hatte in der
Schule nur Russisch als Fremdsprache. Jeden Abend besuchte ich einen Buchladen am Kurfürstendamm und versuchte den Sinn dieses
Gequatsches zu entschlüsseln.«
Er hustete wieder und sein Gesicht verfärbte sich erneut bis zum Kragenrand.
Als der Anfall abklang, fuhr er fort: »Jeden Tag neue Wörter. Ich hatte wirklich keine Ahnung, von was die da sprachen. Und
dabei ging es doch um unsere Betriebe. Und über die redeten junge Schnösel in einer unverständlichen Sprache.«
»Und Paul Stein?«
Bierleins Gesicht überzog ein erinnerndes Lächeln.
»Paul«, sagte er, »mit dem konnte ich reden. Der verstand auch unsere Begriffe; der wusste, was Mehrwert ist, und der kannte
das Gesetz vom tendenziellen Fall der ..«
Wieder unterbrach ihn ein Hustenanfall.
»Es geht zu Ende mit mir – die Gewinner haben schon zu Ende gefeiert. Und wir liegen noch ein paar Tage in den Krankenstationen.«
»Haben Sie je erlebt, dass Stein eine Liste auf blaues Papier schrieb?«
Bierlein sah ihn überrascht an. Er schüttelte den Kopf, bevor ihn ein neuer Hustenfall ereilte.
* * *
»Jürgen, würdest du mir noch einmal helfen? Es wäre sehr wichtig.«
»Na ja, wenn ich dir helfen kann.«
»Ich bräuchte dringend einen Einblick in die Tatortdokumentation der Kommission Düsseldorf. Du weißt, mein alter Job.«
»Ich habe keine Zugriffsberechtigung.«
»Du stellst ganz normal einen Antrag bei Scheuerle, und ich sorge dafür, dass er unterschrieben wird.«
»Und das klappt?«
»Ja.«
»Worum geht es?«
»Das klingt vielleicht merkwürdig: Aber ich glaube, dass ich der Lösung des Falles sehr nahe bin.«
»O.K., ich mach's.«
»Ich danke dir.«
* * *
»Hallo Marlies, hier ist Georg.«
»Georg? Georg Dengler?«
»Ja, genau.«
»Diese Überraschung ist dir gelungen. Willst du dich mit mir verabreden?«
»Ich bitte dich um einen Gefallen.«
»Na, dir hab ich doch viel zu viele Gefallen getan.«
»Es geht um den Fall Düsseldorf.«
»Georg, du bist doch nicht mehr bei uns.«
»Kennst du Hauptkommissar Engel vom Identifizierungskommando?«
»Nein, müsste ich den kennen?«
»Er bringt dir einen Antrag vorbei. Er wird Einsicht in dieAkten der Kommission Düsseldorf beantragen. Sei so lieb, schummele den Antrag in die Postmappe von Scheuerle, unter die Spesenabrechnungen
und Überstundenformulare – so wie wir das früher gemacht haben.«
»Scheuerle soll das blind unterschreiben?«
»So ist es.«
»Worum geht es?«
»Vielleicht kann ich den Fall doch noch lösen.«
»Er geht dir nicht aus dem Kopf, oder?«
»Stimmt.«
»Und ich, ich gehe dir wohl schon lange nicht mehr im Kopf herum?«
»Marlies ...«
»Ich tu's. Aber ich will, dass du mich wieder einmal besuchst.«
»Marlies ...«
»So schlimm war das ja wohl früher nicht. Hast du eine neue Freundin?«
»Marlies, nein. Hab ich nicht.«
»Also, dann erst recht – du besuchst mich, und ich besorge dir die Unterschrift vom Scheuerle. Einverstanden?«
» Einverstanden.«
»Dann sag deinem Kommissar Engel, er soll seinen Antrag vorbeibringen. Sieht er gut aus?«
»Attraktiv und glücklich verheiratet.«
* * *
Ein paar Tage später übergab die Doku-Abteilung Hauptkommissar Engel zwei DVDs, auf der alle Unterlagen der Kommission gespeichert
waren. Engel und Dengler telefonierten, und der Hauptkommissar schickte seinem Freund per Mail drei Fotos des Tatorts und
eine Excel-Tabelle mit den Gegenständen, die am Tatort und im Büro desPräsidenten aufgefunden wurden, sowie eine Aufstellung der Asser-vate, die das BKA bewahrte.
Die Aufnahmen waren schwarz-weiß, und Dengler verglich die Gegenstände auf dem Bild mit den in der Tabelle aufgeführten Gegenständen.
Neben dem Bücherregal in dem Arbeitszimmer des Präsidenten sah er auf dem ersten Foto ein Blatt Papier liegen,
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