Die blaue Liste
Richtung einschlagen musste. Zwei Tage später gab er seine Bewerbung für den
Polizeidienst ab und wurde zu seinem Erstaunen sofort angenommen. Nach drei Tagen verließ er die Stadt.
* * *
Georg Dengler arbeitete sich schwer aus den alten Gedanken hinaus und sah auf die Uhr. Es war Zeit. Er machte sich auf den
Weg hinüber zum Markgräfler Hof.
Dr. Schweikert saß bereits an einem runden Ecktisch, etwas abseits, und las die Badische Zeitung. Als er Dengler eintreten sah, faltete er das Blatt zusammen, legte es beiseite, stand auf und reichte ihm die Hand.
Dengler freute sich, seinen früheren Chef zu sehen. Er schien unverändert, nur die Falten um Augen und Mund hatten sich in
der Zwischenzeit etwas tiefer eingegraben. SeineAugen blickten ihn klar und nachdenklich an, wie sie es in Wiesbaden auch getan hatten. Die Haare, grau und nach hinten gekämmt,
wuchsen immer noch einen Zentimeter über die Länge hinaus, innerhalb derer man Dr. Schweikert für einen seriösen Beamten halten
konnte. Sogar seinem Drang nach Cordhosen und weiten Pullovern hielt er die Treue, Dengler fühlte sich ihm sofort wieder nahe.
Dr. Schweikert empfahl Dengler Badische Hechtklößchen, er nahm Bodenseefelchen mit neuen Kartoffeln und zur Vorspeise eine
Wildkaninchenterrine; Dengler bestellte einen Feldsalat. Sie einigten sich auf eine Flasche Grauburgunder von Franz Keller.
»Nun sind Sie also unter die Schwaben gefallen«, sagt Dr. Schweikert.
»Ach, ich finde sie besser als ihren Ruf. Vor allem sind sie so angenehm extrem.«
Sein früherer Chef sah ihn überrascht über die Brillenränder hinweg an. »Extrem? Dafür sind die Schwaben nun nicht gerade
bekannt.«
Die Hechtklößchen waren ausgezeichnet.
»Nun erzählen Sie mir von Ihrem Fall«, sagte Dr. Schweikert, als der Kellner die Teller abräumte.
»Sie wissen, dass ich die Kommission Düsseldorf übernahm, als Sie in Pension gingen.«
»Ja.«
»Ich löste den Fall nicht.«
»Ich weiß; keiner der Fälle der dritten RAF-Generation wurde aufgeklärt.«
»Ich frage mich, ob es ein Zufall ist, dass sechs Wochen nach dem Attentat auf Rohwedder ein Flugzeug abstürzt, in dem ein
enger Mitarbeiter von ihm sitzt. Es gibt einige Probleme mit der Identifizierung. Diesen gehe ich gerade nach.«
»Und von mir wollen Sie wissen, ob das BKA ..«
»Das BKA stellte einen erstaunlich großen Trupp bei dem Absturz der Maschine, über vierzig Leute. Das finde ichbemerkenswert; es handelte sich um eine österreichische Maschine, und es waren nur wenige Deutsche an Bord.«
»Sie haben den Verdacht, dass bei dem Absturz jemand nachgeholfen hat.«
»Könnte das der Fall sein?«
»Was das BKA betrifft, können Sie es ausschließen. Ich kenne das Amt und kenne auch die Abteilungen des Innenministeriums
genau, die das BKA führen. Das Amt hat sich gewandelt, die Aufgaben scheinen sich sehr geändert zu haben.«
»Wieso?«
»Es gab ja zwei Mythen. Erstens: der RAF-Mythos mit Baader und seiner Gang. Es gab aber auch den BKA-Mythos mit dem faustischen
Herold an der Spitze und seinen Supercomputern. In Wirklichkeit machten wir gute alte Polizeiarbeit, und wir sammelten Baader
und seine Leute schnell ein. Heutzutage denkt man, die hätten jahrelang die Bundesrepublik unsicher gemacht. In Wirklichkeit
schnappten wir sie schnell. Nach der Befreiung von Andreas Baader am 14. Mai 1970 schaffte es der harte Kern der Roten Armee
Fraktion gerade mal zwei Jahre, im Untergrund zu überleben. Die meiste Zeit übrigens unter unserer Kontrolle. Wir überwachten
sie lange vor ihrer Festnahme, und als sie die erste Bombe warfen, nahmen wir sie fest; am 11. Mai 1972 ging diese Bombe hoch,
und bereits zwanzig Tage danach rollten wir sie auf: Am 1. Juni 1972 verhafteten wir Andreas Baader, Jan Carl Raspe und Holger
Meins, kaum eine Woche später Gudrun Ensslin und vierzehn Tage später Ulrike Meinhof. Der Kampf der ersten RAF-Generation
endete in den Gefängnissen, bevor er richtig anfing.« Er schwieg einen Augenblick.
Er fuhr fort: »Heute scheint das anders zu sein. Das BKA wurde aufgebläht. Mehr Geld, mehr Beamte, mehr Einrichtungen, aber
ihm gelingen keine Festnahmen mehr. Es funktioniert heute anders, scheint mir.«
Dann sagte er: »Das Amt ist ein Sprachrohr. Das ist seinewirkliche Definition. Ein Stempel. Wir stempeln die großen Verbrechen und deuten sie. Wir zeigen, aus welcher Richtung die
Gefahr kommt. Wir legen die Schuldigen fest. Das heißt noch lange
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