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Die blaue Liste

Die blaue Liste

Titel: Die blaue Liste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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fragen.
    Erst als er am Ende der Vipavadi Rangsit Road die Stadtgrenze von Bangkok erreichte, wurde ihm bewusst, in welch tödlicher
     Gefahr er immer noch schwebte.»Kennen Sie das American Express Büro in der Silom Street?«, fragt er den Fahrer.
    »Bringen Sie mich dorthin«, sagte er, als der Fahrer nickte.
    * * *
    Patpong ist kein Aufenthaltsort für einen katholischen Professor, es sei denn, er will die Hölle studieren, und dazu bietet
     die kleine Verbindungsstraße zwischen der Silom Street, dem Finanzzentrum des Landes, und der Surawong Road reichlich Anschauungsmaterial.
    Bar an Bar, jede ein Puff, reiht sich in Patpong, und in jeder, die Paul Stein betrat (er besuchte jede), arbeiteten Dutzende
     Mädchen, fast alle kaum dem Kindesalter entwachsen. Sie präsentierten sich nackt oder halb nackt auf Sofas aus geschundenem
     Plüsch oder tanzten freudlos um die silbernen Stangen, die auf kleinen Podesten befestigt waren. Sie lächelten ihn jedes Mal
     auf die gleiche einstudierte Weise an, wenn er das Lokal betrat.
    Er musste diese Lokale aufsuchen. Wie sonst konnte er sich in Bangkok falsche Papiere beschaffen? Er zog eine Woche lang durch die Stripteasebars
     und Bumslokale, jeden Tag, jede Nacht, die Mädchen kannten ihn bereits und grüßten ihn nicht mehr, kein Geschäft mit ihm zu
     machen, und so sparten sie sich das Lächeln.
    Er saß meist an der Theke und beobachtete die Männer, die hier den Ton angaben. Manchmal standen sie direkt hinter dem Tresen,
     meist aber saßen sie an einem Tisch, immer im Schatten. Im Thai-Paradies wagte er den Anfang. Er konnte den Chef des Ladens identifizieren. Ein etwa fünfzigjähriger Thai, jeden Tag in dunkelblauem
     Anzug, weißem Hemd, roter Krawatte, spielte Abend für Abend Karten mit vier jüngeren Männern, die Jeans trugen oder weite
     schwarze Hosen, die ihn merkwürdigerweise an die Uniformen des Vietcongerinnerten, und immer trugen sie bunt bedruckte Hawaiihemden.
    Am siebten Abend trat er an ihren Tisch.
    »I want to talk with you.«
    »Talk, talk«, sagte der Alte.
    »Alone.«
    Eine kaum wahrzunehmende Bewegung mit dem kleinen Finger der rechten Hand, und die Männer in den bunten Hemden verschwanden.
    »Talk, talk«, wiederholte der Alte.
    »I need a new passport«, sagte Stein.
    »Take girls, take girls.«
    »No, I need a passport, a brandnew one.«
    »Take girls, take girls.« Eine müde Handbewegung zu den Mädchen hin.
    »No ...«
    »Take girls, take girls.« Diesmal ohne Handbewegung. Das Spiel wiederholte sich. Hier war er falsch.
    »I'll come back.« Stein suchte eine Spur von Verstehen im Gesicht des Alten.
    »Take girls, take girls.«
    Nichts wie weg.
    In der Orient Gogo Bar standen plötzlich zwei kleine drahtige Männer neben ihm, als er den Chef hinter der Bar ansprach. »Go«, sagte der Erste und
     stellt sich so dicht neben ihn, dass er seinen Schweiß riechen konnte.
    »Go«, sagte der Zweite.
    Wieder allein in Patpong. Eine Gruppe fetter dänischer Touristen. Begleitet von Mädchen, schön wie exotische Schmetterlinge.
     Die Kerle betrunken und laut. Widerlich. Leuchtreklamen. Grüne Farben. Rote Farben. Neonröhren formten sich zu Thai-Mädchen
     mit absurd großen Brüsten, und inmitten des Sündenbabels bog sich die wuchtigste Leuchtröhre zu einem Bildnis des Königs.
    Wieder in den Bars.»I need a passport.«
    Wo sollte er noch hin? Chinatown?
    »I need a passport.«
    Niemand schien ihn zu verstehen. Oder verstehen zu wollen. Einmal hielt er es nicht mehr länger aus und ließ sich von der
     Rezeption des Hilton eine Verbindung nach Österreich schalten. Seine Frau meldete sich, und in der ersten Zehntelsekunde erkannte
     er die endlose Trauer ihrer Stimme. Sie sagte noch einmal »Hallo, wer ist da?«, und dann legte er auf. Er durfte sie nicht
     gefährden. An diesem Abend verzichtete er auf seinen Rundgang durch die Bars. Er lag auf dem Rücken in dem klapprigen Bett
     seines guesthouse und rief sich wieder und wieder ihre Stimme in Erinnerung. Er wollte sie nie vergessen.
    Chinatown.
    Im Gewimmel der kleinen Straßen, der unzähligen Geschäfte verlief er sich. Auch hier hörte ihm keiner zu, wenn er seine Frage
     stellte. Alles schien es hier zu geben. Nur keinen Pass.
    Er würde das Land mit seinen österreichischen Papieren verlassen müssen. Das war gefährlich, aber ging es anders?
    »Gehen Sie Tee mit mir trinken.«
    Stein drehte sich um. Neben ihm auf der Bangkok Road stand ein junger Thai. Er hatte Stein auf Englisch

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