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Die blaue Liste

Die blaue Liste

Titel: Die blaue Liste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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angesprochen.
    Paul Stein winkte ab, aber der Mann zeigte ihm blitzschnell einen Pass. Stein schloss zu dem Mann auf, und sie gingen eine
     Weile schweigend nebeneinander her.
    Der Thai trug Jeans, amerikanische Turnschuhe und den in Bangkok üblichen weißen Mundschutz.
    Er blieb plötzlich stehen und öffnete die Hintertür eines japanischen Wagens. Stein überlegte nur kurz, dann ließ er sich
     auf einen der Rücksitze fallen. Der junge Thai warf die Wagentür zu, und das Auto fuhr sofort los.
    Der Nissan nahm die Richtung zum Wat Po. In demhöllischen Verkehr Bangkoks kamen sie nur im Schritttempo voran. Die Abgase waberten wie giftige Nebel durch die großen Straßen,
     und Stein sah die verwahrlosten Gehwege, aufgerissen und nur provisorisch abgedeckt, auf denen zahllose Fußgänger eilten,
     den Blick starr auf den Boden gerichtet, um den riesigen Schlaglöchern auszuweichen und nicht in die Abwasserkanäle zu stürzen,
     deren Öffnungen häufig ohne Kanaldeckel auskommen mussten.
    Er sehnte sich zurück nach Innsbruck. Der Wagen hielt in einer Seitenstraße. Der Fahrer öffnete ihm die Tür und führte ihn
     in ein kleines Haus, durch einen Flur, und schließlich stand Paul Stein in einem Garten.
    Er sah einen mannshohen Weihnachtsstern und einen kleinen Tempel für den Hausgeist, vor dem drei Räucherstäbchen glommen.
     Und für einen Augenblick, nur für einen kleinen Moment im Banne dieser Atmosphäre fiel die Last der vergangenen Tage von ihm
     ab. Als er sich langsam umdrehte, erblickte er den Mann, der an einem kleinen Tisch saß. Grauer Anzug, weißes Hemd, Sonnenbrille,
     sein Alter nur schwer zu schätzen.
    Er winkte ihn zu sich heran. Stein ging auf ihn zu und setzte sich an den Tisch.
    Die beiden Männer sahen sich an.
    »Sie brauchen einen Pass«, sagte der Mann in tadellosem Englisch.
    »Ja.«
    »Welche Nationalität?«
    »Österreich.«
    »Das kann ich Ihnen nicht beschaffen. Ich liefere Ihnen einen deutschen Reisepass und einen deutschen Personalausweis, wenn
     Sie wollen.«
    »Ja.«
    »Das kostet Sie 1000 Dollar. 500 geben Sie mir heute noch und die restlichen 500, wenn ich liefere.«
    Der Mann sah ihn an.»Einverstanden«, sagte Paul Stein. »Haben Sie das Geld bei sich?«
    »Nein.«
    »Wie alt sind Sie?«
    »Fünfundfünfzig.«
    »Mein Fahrer bringt Sie zurück. Geben Sie ihm das Geld.«
    »Welche Sicherheiten habe ich, dass Sie mir die Papiere auch besorgen?«
    »Vertrauen Sie.«
    »Und noch etwas«, sagte der Mann, »gehen Sie nicht mehr nach Patpong. Bleiben Sie in Ihrem Haus und warten Sie.«
    »Wie lange?«
    »Zwei Wochen. Drei Wochen. Nicht länger.«
    Der Mann stand auf, ein zweiter erschien wie aus dem Nichts und brachte ihn zur Tür, vor der der Nissan bereits wartete. Der
     Fahrer brachte ihn zur Khao San Road, ohne dass sie ein Wort wechselten. Sie wussten also, wo er wohnte.
    Stein ging in sein Apartment und gab dem Fahrer 500 Dollar. Der Nissan fuhr davon.
    Die nächsten beiden Wochen verbrachte Stein wie ein Tourist. Er besuchte den Königspalast, Wat Po, den goldenen Buddha. Abends
     lag er in seinem Feldbett und unterdrückte den Impuls, seine Frau anzurufen. Die Zeitungen schrieben nichts mehr über den
     Absturz der Maschine.
    Während er wartete, setzte sich eine wohl erprobte Maschinerie in Gang. Steins Alter wurde telefonisch einer professionellen
     Agentur in Berlin übermittelt. Dreihundert Dollar wurden in Bangkok auf ein Konto der Deutschen Bank eingezahlt, und eine
     Kopie des Einzahlungsscheines wanderte per Fax nach Berlin.
    * * *
    In der Wrangelstraße, im Herzen von Berlin-Kreuzberg, unterhielt Walter Steinberg in seiner Wohnung ein kleinesBüro. Nachdem ihn seine Frau vor zwei Jahren verlassen hatte, war das große Zimmer neben dem Bad frei geworden. Die Trauerzeit
     verkürzte sich für Steinberg drastisch, da seine Frau bisher durch ihre Stellung als Lehrerin den größten Teil zum Unterhalt
     der gemeinsamen Wohnung beigetragen hatte und er diese Lücke nun in kurzer Zeit füllen musste. Er verfluchte sie. Steinberg,
     der sein Studium der Geschichte kurz vor dem Examen an den Nagel gehängt hatte, übernahm hin und wieder kleine Aufträge auf
     dem Gebiet der Ahnenforschung. Durch sein Studium waren ihm Archive wohl vertraut, und er mochte den Mief großer Papierablagen,
     den Geruch von Staub und Schimmelpilz, den gerade die standesamtlichen Register Ostberlins dämmerig verströmten.
    In einem Archiv in Friedrichsfelde war er zwei Mormonen in schwarzen

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