Die blaue Liste
kommandierte Dengler mit lauter, den Fahrtwind übertönender Stimme südlich aus der Stadt.
Der Blumengroßhändler Andrea Savinio betrieb sein Geschäft inmitten des kleinen Industriegebietes südlich der Stadt in einem
Gebäude, das Dengler eher an eine Spedition erinnerte als an ein Unternehmen, das mit Blumen handelte. Er sah sieben große
Rampen, mit großen Ladeklappen, drei davon geöffnet, vor denen weiße Lkws mit den gleichen grünen und roten Beschriftungen
standen.
Die beiden Freunde stiegen von der Honda, schoben sie vor einen kleinen Glaskasten, den Eingang der Firma. Sie zogen ihre
Helme ab und betraten etwas steifbeinig den Empfangsraum. Eine etwa vierzigjährige Brünette sah die beiden über eine Lesebrille
hinweg misstrauisch an.
Mario sprach mit ihr. Dengler hatte ihn instruiert, und so wusste er, dass er sich nach dem Gärtnerbetrieb erkundigen sollte,
der die hochwertigen Calendula nach Stuttgart exportiert hatte. Er gab Dengler und sich als Blumenhändler aus, die einen Blumenladen
in Stuttgart betrieben und diese Waren kaufen wollten. Die Brünette griff zum Telefon und bat sie dann in ein kleines Besuchszimmer
hinter ihrem Büro.
Nachdem sie wenige Minuten in dem kahlen Raum gewartet hatten, erschien der Eigentümer, Andrea Savinio. Er bot ihnen einen
Espresso an, und bald war er mit Mario in ein Palaver vertieft, das sich – so schien es Dengler, der seine Unruhe nur mit
Mühe unterdrücken konnte – schon bald vom Thema Blumen abgewendet hatte. Die beiden unterhielten sich prächtig – und Dengler
begriff: Sie fachsimpelten leutselig über Essen und gute Weine.
Schließlich wandte sich Mario zu ihm: »Er will uns den Namen seiner Lieferanten nicht nennen, aber bietet uns an, die Blumen
direkt von ihm zu beziehen, und er garantiert uns, dass es die Ware des Lieferanten ist, der die beiden Sträuße nach Stuttgart
schaffen ließ. Allerdings sei dieser Betriebnicht sehr groß. Wenn wir viele Blumen kaufen wollten, müsste er zusätzliche Lieferanten einschalten, aber er würde persönlich
für die Qualität der Produkte gerade stehen.«
»Sag ihm, wir würden gerne einen Bund als Probe sehen.«
Mario wandte sich wieder dem Händler zu, und die beiden versanken erneut in ein endloses Gespräch. Dann stand der Mann auf
und verschwand für einige Minuten. Als er den Raum wieder betrat, sprach er nur noch kurz mit Mario.
»Was sagt er?«, wollte Dengler wissen.
Mario sagte: »Alles klar. Wir bekommen heute Abend um sechs Uhr einen Bund Calendula. Signore Savinio betreibt einen Blumenladen
in der Altstadt. Dort sollen wir ihn abholen.«
Sie verabschiedeten sich und fuhren zurück ins Hotel.
* * *
Das Café Tutta La Vita liegt dem Floristengeschäft Flora Tos- cana gegenüber. Hier saßen sie beide und beobachteten den Eingang, nachdem Dengler sich überzeugt hatte, dass der Blumenladen keinen
Hintereingang hatte.
Sie befanden sich in der Innenstadt Sienas, und die Touristenströme verdeckten ihnen häufig die Sicht auf den Eingang von Flora Toscana schräg gegenüber. Mario war nervös, doch er bemühte sich tapfer, seine Unruhe vor seinem Freund zu verbergen und ihn in der
neuen Rolle als Assistent des Ermittlers nicht zu enttäuschen. Abwechselnd schaute Mario hinüber zum Blumengeschäft und auf
die vor ihm liegenden Fotos, die Georg von Christiane erhalten und die Mario seit der Abfahrt aus Stuttgart immer wieder betrachtet
hatte.
Um fünf Uhr verzog sich die Sonne, und wie auf ein vereinbartes Kommando hin verließen die Touristen die Stadt, und eine heilsame
Stille legte sich über die geplagten Mauern. Erst jetzt, so schien es, wagten die Bewohner langsam, Besitzvon ihrer Stadt nehmen, und die Straße änderte ihr Erscheinungsbild. Italienische Frauen kauften ein, junge Paare schlenderten
durch die engen Gassen, und ein alter eleganter Mann in dunkelblauem Anzug und braunen Schuhen strebte zielsicher zu einer
Verabredung.
Sie sahen Paul Stein gleichzeitig. Mario stieß Georg mit dem Ellbogen heftig in die Seite, doch auch Dengler hatte das Gesicht
erkannt, das zwischen den beiden riesigen Blumensträußen hervorlugte, die Stein die enge Gasse hinauftrug.
»Hol das Motorrad«, flüsterte er Mario zu, der sofort verschwand.
Er ist älter geworden, dachte Georg. Steins Gesicht wirkte viel schmaler als auf den Fotos, die Christiane ihm mitgegeben
hatte. Schmaler und durchgeistigter. Seine Haare waren nicht mehr braun, sondern
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