Die Blechtrommel
gut geschützt in irgendeinem Fjord des nördlichen Schottland; Frankreichs große Armee verweilte noch beim Mittagessen und glaubte mit einigen Spähtruppunternehmungen im Vorfeld der Maginotlinie, den polnisch-französischen Garantievertrag erfüllt zu haben.
Vor dem Lagerraum und Notlazarett fing uns Doktor Michon, der immer noch den Stahlhelm trug, auch das Kavaliertaschentüchlein aus der Brusttasche hervorlugen ließ, mit dem Beauftragten aus Warschau, einem gewissen Konrad ab. Sofort setzte in allen Spielarten, schwerste Blessuren vortäuschend, Jan Bronskis Angst ein. Während Viktor Weluhn, der ja unverletzt war und mit seiner Brille ausgerüstet einen brauchbaren Schützen abgeben mochte, hinunter in die Schalterhalle mußte, durften wir in den fensterlosen Raum, den notdürftig Talgkerzen erhellten, weil das Elektrizitätswerk der Stadt Danzig nicht mehr bereit war, die Polnische Post mit Strom zu versorgen.
Der Doktor Michon, der an Jans Verwundungen nicht recht glauben wollte, jedoch auf Jan als kampftüchtigen Verteidiger der Post keinen unbedingten Wert legte, gab seinem Postsekretär den Befehl, als quasi Sanitäter, den Verwundeten aufzupassen und auch auf mich, den er flüchtig, und wie ich zu spüren glaubte, verzweifelt streichelte, ein besorgtes Auge zu werfen, damit das Kind nicht in die Kampfhandlungen gerate.
Einschlag der Feldhaubitze in Höhe der Schalterhalle. Es würfelte uns. Der Stahlhelm Michon, Warschaus Abgesandter Konrad und der Geldbriefträger Weluhn stürzten ihren Gefechtsstellungen entgegen. Jan und ich, wir fanden uns mit sieben oder acht Verwundeten in einem abgeschlossenen, allen Kampflärm dämpfenden Raum. Nicht einmal die Kerzen flackerten besonders, wenn draußen die Haubitze Ernst machte. Still war es trotz der Stöhnenden oder wegen der Stöhnenden. Jan wickelte hastig und ungeschickt in Streifen gerissene Bettlaken um Kobyellas Oberschenkel, wollte sodann sich selbst pflegen; aber Wange und Handrücken des Onkels bluteten nicht mehr. Verkrustet schwiegen die Schnittwunden, mochten jedoch schmerzen und Jans Angst nähren, die in dem niedrig stickigen Raum keinen Auslauf hatte. Fahrig suchte er seine Taschen ab, fand das vollzählige Spiel: Skat! Bis zum Zusammenbruch der Verteidigung spielten wir Skat.
Zweiunddreißig Karten wurden gemischt, abgehoben, verteilt, ausgespielt. Da alle Briefkörbe schon mit Verwundeten belegt waren, setzten wir Kobyella gegen einen Korb, banden ihn endlich, da er von Zeit zu Zeit umsinken wollte, mit den Hosenträgern eines anderen Verwundeten fest, brachten ihm Haltung bei, verboten ihm, seine Karten fallen zu lassen, denn wir brauchten Kobyella. Was hätten wir tun können ohne den dritten fürs Skatspiel notwendigen Mann? Denen in den Briefkörben fiel es schwer, schwarz von rot zu unterscheiden, die wollten keinen Skat mehr spielen. Eigentlich wollte auch Kobyella keinen Skat mehr spielen. Hinlegen wollte er sich. Es drauf ankommen, den Karren laufenlassen wollte der Hausmeister. Mit einmal untätigen Hausmeisterhänden, die Augen wimpernlos schließend, wollte er den letzten Abbrucharbeiten zusehen. Wir aber duldeten diesen Fatalismus nicht, banden ihn fest, zwangen ihn, den dritten Mann abzugeben, während Oskar den zweiten Mann abgab — und niemand wunderte sich, daß der Dreikäsehoch Skat spielen konnte.
Ja, als ich zum erstenmal meine Stimme für die Sprache der Erwachsenen hergab und »Achtzehn!« sagte, blickte mich Jan, aus seinen Karten auftauchend, zwar kurz und unbegreiflich blau an, nickte bejahend, ich darauf: »Zwanzig?« Jan ohne Zögern: »Immer noch.« Ich: »Zwo? Und die drei?
Vierundzwanzig?« Jan bedauerte: »Passe.« Und Kobyella? Der wollte schon wieder trotz der Hosenträger zusammensacken. Aber wir rissen ihn hoch, warteten den Lärm eines draußen, entfernt von unserem Spielzimmer dargebotenen Granateneinschlages ab, bis Jan in die gleich darauf ausbrechende Stille zischen konnte: »Vierundzwanzig, Kobyella! Hörst du nicht, was der Junge gereizt hat?«
Ich weiß nicht, von woher, aus welchen Untiefen der Hausmeister auftauchte. Mit Schraubwinden schien er seine Augenlider heben zu müssen. Endlich irrte sein Blick wäßrig über die zehn Karten, die Jan ihm diskret und ohne jeden Schummelversuch zuvor in die Hand gedrückt hatte.
»Passe«/ sagte Kobyella. Das heißt, wir lasen es seinen Lippen ab, die fürs Sprechen wohl allzusehr ausgetrocknet waren.
Ich spielte einen Kreuz einfach. Um zu den
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