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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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dieses umständliche Eingehen auf die Beckenknochen, Augenbrauen, Ohrläppchen, Hände und Füße eines jungen Mädchens? Ganz auf Ihrer Seite stehend, verurteile ich mit Ihnen diese Art Menschenbeschreibung. Ist Oskar doch fest überzeugt, daß es ihm bisher allenfalls gelungen ist, Marias Bild zu verzerren, wenn nicht für alle Zeiten zu verzeichnen. Deshalb ein letzter und hoffentlich klärender Satz: Maria war, wenn ich von all den anonymen Krankenschwestern absehe, Oskars erste Liebe.
    Es wurde mir dieser Zustand bewußt, als ich eines Tages, wie ich es selten tat, meinem Trommeln zuhörte und bemerken mußte, wie neu, wie eindringlich und dennoch behutsam Oskar dem Blech seine Leidenschaft mitteilte. Maria nahm dieses Trommeln gut auf. Dennoch liebte ich es nicht besonders, wenn sie zu ihrer Mundharmonika griff, über der Maultrommel häßlich die Stirn runzelte und meinte, mich begleiten zu müssen. Oftmals jedoch, beim Strümpfestopfen oder Zuckerabfüllen, ließ sie die Hände sinken, blickte mir ernst und aufmerksam mit ganz und gar ruhigem Gesicht zwischen die Trommelstöcke und fuhr mir, bevor sie wieder zum Stopfstrumpf griff, mit weicher, verschlafener Bewegung über die kurzgeschnittenen Stoppelhaare.
    Oskar, der sonst keine noch so zärtlich gemeinte Berührung vertrug, duldete Marias Hand, verfiel diesem Streichern dergestalt, daß er oft stundenlang und schon bewußter die zum Streichern verführenden Rhythmen aufs Blech legte, bis endlich Marias Hand gehorchte und ihm gut tat.
    Es kam dazu, daß mich Maria jeden Abend zu Bett brachte. Sie zog mich aus, wusch mich, half mir in den Schlafanzug, empfahl mir, vor dem Schlafengehen noch einmal die Blase zu entleeren, betete mit mir, obgleich sie protestantisch war, ein Vaterunser, drei Gegrüßetseistdumaria, auch dann und wann: Jesusdirlebichjesusdirsterbich, und deckte mich schließlich mit freundlichem, müde machendem Gesicht zu.
    So schön diese letzten Minuten vor dem Lichtausknipsen auch waren — nach und nach tauschte ich Vaterunser und Jesusdirlebich zart anspielend in Meersternichdichgrüße und Mariazulieben um — die allabendlichen Vorbereitungen für die Nachtruhe waren mir peinlich, hätten fast meine Selbstbeherrschung untergraben und mir, der ich sonst jederzeit das Gesicht zu bewahren wußte, jenes verräterische Erröten der Backfische und verquälten jungen Männer befohlen. Oskar gibt zu: jedesmal wenn mich Maria mit ihren Händen entkleidete, in die Zinkwanne stellte und mir mit einem Waschlappen, mit Bürste und Seife den Staub eines Trommlertages von der Haut laugte und schrubbte, jedesmal also, wenn mir bewußt wurde, daß ich, ein fast Sechzehnjähriger, einem bald siebzehn Jahre alten Mädchen nackt und überdeutlich gegenüber stand, errötete ich heftig und anhaltend nachglühend.
    Doch Maria schien den Farbwechsel meiner Haut nicht zu bemerken. Dachte sie etwa, Waschläppchen und Bürste erhitzten mich so? Sagte sie sich, es wird die Hygiene sein, die Oskar so einheizt? Oder war Maria schamhaft und taktvoll genug, diese meine alltägliche Abendröte zu durchschauen und dennoch zu übersehen?
    Bis heute bin ich diesem jähen und durch nichts zu verbergenden, oft fünf Minuten und länger anhaltenden Anstrich verfallen. Ähnlich meinem Großvater, dem Brandstifter Koljaiczek, der feuerzündgockelrot wurde, wenn nur das Wörtchen Streichholz fiel, schießt mir das Blut durch die Adern, sobald jemand, den ich gar nicht zu kennen brauche, in meiner Nähe etwas von kleinen Kindern erzählt, die jeden Abend in der Badewanne mit Waschläppchen und Bürste behandelt werden.
    Wie ein Indianer steht Oskar dann da; schon lächelt die Umwelt, heißt mich absonderlich, sogar abwegig: denn was kann es meiner Umwelt bedeuten, wenn kleine Kinderchen eingeseift, abgeschrubbt und von einem Waschläppchen an den verschwiegensten Orten besucht werden.
    Maria jedoch, das Naturkind, erlaubte sich in meiner Anwesenheit, ohne verlegen zu werden, die gewagtesten Dinge. So zog sie sich jedesmal, bevor sie die Dielen des Wohnzimmers und Schlafzimmers wischte, vom Oberschenkel abwärts jene Strümpfe aus, die ihr Matzerath geschenkt hatte, die sie schonen wollte. Eines Sonnabends nach Geschäftsschluß — Matzerath hatte in der Ortsgruppendienststelle zu tun, wir waren alleine — ließ Maria Rock und Bluse fallen, stand in armseligem, aber sauberem Unterrock neben mir am Wohnzimmertisch und begann, mit Benzin einige Flecken aus dem Rock und der

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