Die Blechtrommel
in unsere Wohnung und brachte zur Taufe meines Sohnes Kurt außer ihrem Ortsbauernführer ihren ehemaligen Schwiegervater Vinzent Bronski und dessen Schwester Anna mit. Matzerath schien Bescheid zu wissen, begrüßte die beiden alten Leutchen laut und herzlich auf der Straße unter den Fenstern der Nachbarn und sagte im Wohnzimmer, als meine Großmutter unter die vier Röcke griff und das Taufgeschenk, eine ausgereifte Gans, hervorholte: »Das war nun aber nicht nötich jewesen, Muttchen. Ich freu mich auch, wenn de nix bringst und trotzdem kommst.« Das war wieder meiner Großmutter nicht recht, die wissen wollte, was ihre Gans wert war. Auf den fetten Vogel klatschte sie mit flacher Hand und protestierte: »Nu hab da man nich so, Alfrädchen. Das is ja keine kaschubsdie Gans nicht, das is nu ne Volksdeitsche und schmeckt dech jenau so wie vorm Kriech!«
Damit waren alle völkischen Probleme gelöst, und nur vor der Taufe gab es noch einige Schwierigkeiten, als Oskar sich weigerte, die protestantische Kirche zu betreten. Auch als sie meine Trommel aus dem Taxi holten, mich mit dem Blech köderten und immer wieder versicherten, in protestantische Kirchen könne man sogar Trommeln offen mitnehmen, blieb ich weiterhin schwärzester Katholik und hätte mich eher zu einer kurzen, zusammenfassenden Beichte in Hochwürden Wiehnkes Priesterohr entschlossen als zum Anhören einer protestantischen Taufpredigt.
Matzerath gab nach. Wahrscheinlich fürchtete er meine Stimme und die mit ihr verbundenen Schadenersatzansprüche. So blieb ich, während in der Kirche getauft wurde, im Taxi, betrachtete den Hinterkopf des Chauffeurs, musterte Oskars Antlitz im Rückspiegel, gedachte meiner eigenen, schon Jahre zurückliegenden Taufe und aller Versuche Hochwürden Wiehnkes, die Satan aus dem Täufling Oskar vertreiben sollten.
Nach der Taufe wurde gegessen. Man hatte zwei Tische aneinandergeschoben und begann mit der Mockturtlesuppe. Löffel und Tellerrand. Die vom Lande schlürften. Greff spreizte den kleinen Finger weg. Gretchen Scheffler biß die Suppe. Guste lächelte breit über dem Löffel. Ehlers sprach über den Löffel hinweg. Vinzent suchte zitternd neben dem Löffel. Nur die alten Frauen, die Großmutter Anna und Mutter Truczinski, waren ganz und gar den Löffeln ergeben, während Oskar sozusagen aus dem Löffel fiel, sich davonmachte, während die noch löffelten, und im Schlafzimmer die Wiege seines Sohnes suchte, denn er wollte über seinen Sohn nachdenken, während die anderen hinter den Löffeln immer gedankenloser und leergelöffelter schrumpften, wenn sie auch die Löffelsuppe in sich hineinschütteten.
Hellblauer Tüllhimmel über dem Körbchen auf Rädern. Da der Korbrand zu hoch war, erspähte ich zuerst nur etwas rotblau Verkniffenes. Meine Trommel stellte ich mir unter und konnte dann meinen schlafenden, im Schlaf nervös zuckenden Sohn betrachten. Oh, Vaterstolz, der immer nach großen Worten sucht! Da mir angesichts des Säuglings nichts einfiel als der kurze Satz: Wenn er drei Jahre alt ist, soll er eine Trommel bekommen — da mir mein Sohn keinen Aufschluß über seine Gedankenwelt gab, da ich nur hoffen konnte, er möge gleich mir zu den hellhörigen Säuglingen gehören, versprach ich ihm nochmals und immer wieder die Blechtrommel zu seinem dritten Geburtstag, stieg dann von meinem Blech und versuchte es wieder mit den Erwachsenen im Wohnzimmer.Dort machten sie gerade Schluß mit der Mockturtlesuppe. Maria brachte die grünen, süßen Büchsenerbsen in Butter.
Matzerath, der für den Schweinebraten verantwortlich war, servierte die Platte eigenhändig, ließ das Jackett von sich fallen, schnitt hemdsärmelig Scheibe urn Scheibe und machte ein solch zärtlich enthemmtes Gesicht über dem mürb saftigen Fleisch, daß ich wegblicken mußte. Für den Gemüsehändler Greff wurde extra serviert. Büchsenspargel, hartgekochte Eier und Sahne mit Rettich bekam er, weil Vegetarier kein Fleisch essen. Jedoch nahm er wie alle anderen einen Klacks von den Stampfkartoffeln, begoß die aber nicht mit der Bratensoße, sondern mit gebräunter Butter, die die aufmerksame Maria ihm in einem zischenden Pfännchen aus der Küche brachte. Während die anderen Bier tranken, hatte Greff Süßmost im Glas. Man sprach von der Kesselschlacht bei Kijew, zählte an den Fingern die Gefangenenzahlen zusammen. Der Balte Ehlers zeigte sich dabei besonders fix, ließ bei jedem Hunderttausend einen Finger hochschnellen, um dann, als
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