Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
Vom Netzwerk:
Lina Greff bot mir ein Orchester, so breit und tief gestaffelt, wie man es allenfalls in Bayreuth oder Salzburg finden kann. Da lernte ich das Blasen, Klimpern, Pusten, Zupfen, Streichen, ob Generalbaß oder Kontrapunkt,ob es sich um Zwölftöner, Neutöner handelte, der Einsatz beim Scherzo, das Tempo beim Andante, mein Pathos war streng trocken und weich flutend zugleich; Oskar holte das Letzte aus der Greffschen heraus und blieb dennoch unzufrieden, wenn nicht unbefriedigt, wie es sich für einen echten Künstler gehört.
    Von unserem Kolonialwarengeschäft zur Greffschen Gemüsehandlung brauchte es zwanzig Schrittchen. Der Laden lag schräg gegenüber, lag günstig, weit günstiger lag er als die Bäckermeisterwohnung Alexander Scheffler im Kleinhammerweg. An dieser günstigeren Lage mag es gelegen haben, daß ich es im Studium der weiblichen Anatomie etwas weiter brachte als im Studium meiner Meister Goethe und Rasputin. Vielleicht läßt sich dieser bis heute klaffende Bildungsunterschied durch die Verschiedenheit meiner beiden Lehrerinnen erklären und womöglich entschuldigen. Während mich Lina Greif gar nicht unterrichten wollte, sondern mir schlicht und passiv ihren Reichtum als Anschauungs-und Versuchsmaterial zur Verfügung stellte, nahm Gretchen Scheffler ihren Lehrberuf allzu ernst. Erfolge wollte sie sehen, wollte mich laut lesen hören, wollte meinen schönschreibenden Trommlerfingern zugucken, wollte mich mit der holden Grammatika befreunden und zugleich selbst von dieser Freundschaft profitieren. Als Oskar ihr jedoch alle sichtbaren Zeichen eines Erfolges verweigerte, verlor Gretchen Scheffler die Geduld, wandte sich kurz nach dem Tod meiner armen Mama, nach immerhin sieben Jahren Unterricht, wieder ihrer Strickerei zu und beglückte mich, da die Bäckerehe weiterhin kinderlos blieb, nur noch dann und wann, vor allem an großen Feiertagen, mit selbstgestrickten Pullovern, Strümpfen und Fausthandschuhen. Von Goethe und Rasputin war zwischen uns nicht mehr die Rede, und nur jenen Auszügen aus den Werken beider Meister, die ich immer noch, mal hier, mal da, zumeist auf dem Trockenboden des Mietshauses aufbewahrte, hatte es Oskar zu verdanken, daß dieser Teil seiner Studien nicht ganz und gar versandete; ich bildete mich selbst und kam zu eigenem Urteil.
    Die kränkliche Lina Greff jedoch war ans Bett gebunden, konnte mir nicht ausweichen, mich nicht verlassen, denn ihre Krankheit war zwar langwierig, doch nicht ernsthaft genug, als daß der Tod mir die Lehrerin Lina hätte vorzeitig nehmen können. Da aber auf diesem Stern nichts von Dauer ist, war es Oskar, der die Bettlägerige in dem Augenblick verließ, da er seine Studien als abgeschlossen betrachten konnte.
    Sie werden sagen: in welch begrenzter Welt mußte sich der junge Mensch heranbilden! Zwischen einem Kolonialwarengeschäft, einer Bäckerei und einer Gemüsehandlung mußte er sein Rüstzeug fürs spätere, mannhafte Leben zusammenlesen. Wenn ich auch zugeben muß, daß Oskar seine ersten, so wichtigen Eindrücke in recht muffig kleinbürgerlicher Umgebung sammelte, gab es schließlich noch einen dritten Lehrer. Ihm blieb es überlassen, Oskar die Welt zu öffnen und ihn zu dem zu machen, was er heute ist, zu einer Person, die ich mangels einer besseren Bezeichnung mit dem unzulänglichen Titel Kosmopolit behänge.
    Ich spreche, wie die Aufmerksamsten unter Ihnen gemerkt haben werden, von meinem Lehrer und Meister Bebra, von dem direkten Nachkommen des Prinzen Eugen, vom Sproß aus dem Stamme Ludwigs des Vierzehnten, von dem Liliputaner und Musikalclown Bebra. Wenn ich Bebra sage, meine ich natürlich auch die Dame an seiner Seite, die große Somnambule Roswitha Raguna, die zeitlose Schöne, an die ich oft während jener dunklen Jahre, da Matzerath mir meine Maria wegnahm, denken mußte. Wie alt wird sie sein, die Signora? fragte ich mich. Ist sie ein blühendes zwanzigjähriges, wenn nicht neunzehnjähriges Mädchen? Oder ist sie jene grazile neunundneunzigjährige Greisin, die noch in hundert Jahren unverwüstlich das Kleinformat ewiger Jugend verkörpern wird?
    Wenn ich mich recht erinnere, begegnete ich den beiden mir so verwandten Menschen kurz nach dem Tod meiner armen Mama. Wir tranken im Cafe Vierjahreszeiten gemeinsam unseren Mokka, dann trennten sich unsere Wege. Es gab leichte, doch nicht unerhebliche politische Differenzen; Bebra stand dem Reichspropagandaministerium nahe, trat, wie ich seinen Andeutungen unschwer entnehmen

Weitere Kostenlose Bücher