Die Blechtrommel
konnte, in den Privatgemächern der Herren Goebbels und Göring auf und versuchte mir diese Entgleisung auf verschiedenste Art zu erklären und zu entschuldigen. Da erzählte er von den einflußreichen Stellungen der Hofnarren im Mittelalter, zeigte mir Reproduktionen nach Bildern spanischer Maler, die irgendeinen Philipp oder Carlos mit Hofstaat zeigten; und inmitten dieser steifen Gesellschaften ließen sich einige kraus, spitzig und gepludert gekleidete Narren erkennen, die in etwa Bebras, womöglich auch meine, Oskars Proportionen aufwiesen. Gerade weil mir diese Bildchen gefielen — denn heute darf ich mich einen glühenden Bewunderer des genialen Malers Diego Velazquez nennen — wollte ich es Bebra nicht so leicht machen. Er ließ dann auch davon ab, das Zwergenwesen am Hofe des vierten spanischen Philipp mit seiner Stellung in der Nähe des rheinischen Emporkömmlings Joseph Goebbels zu vergleichen. Von den schwierigen Zeiten sprach er, von den Schwachen, die zeitweilig ausweichen müßten, vom Widerstand, der im verborgenen blühe, kurz es fiel damals das Wörtchen »Innere Emigration«, und deswegen trennten sich Oskars und Bebras Wege.
Nicht daß ich dem Meister grollte. An allen Plakatsäulen suchte ich während der folgenden Jahre die Anschläge der Varietes und Cirkusse nach Bebras Namen ab, fand ihn auch zweimal mit der Signora Raguna angeführt, unternahm dennoch nichts, das zu einem Treffen mit den Freunden hätte führen können.
Auf einen Zufall ließ ich es ankommen, doch der Zufall versagte sich, denn hätten sich Bebras und meine Wege im Herbst zweiundvierzig schon gekreuzt und nicht erst im folgenden Jahr, Oskar wäre nie zum Schüler der Lina Greff, sondern zum Jünger des Meisters Bebra geworden. So aber überquerte ich tagtäglich, oftmals schon am frühen Vormittag den Labesweg, betrat den Gemüseladen, hielt mich zuerst anstandshalber ein halbes Stündchen in der Nähe des immer mehr zum kauzigen Bastler werdenden Händlers auf, sah zu, wie er seine schrulligen, bimmelnden, heulenden, kreischenden Maschinen baute, und stieß ihn an, wenn Kundschaft den Laden betrat; denn Greff nahm zu jener Zeit kaum noch Notiz von seiner Umwelt. Was war geschehen? Was machte den einst so offenen, immer zum Scherz bereiten Gärtner und Jugendfreund so stumm, was ließ ihn so vereinsamen, zum Sonderling und etwas nachlässig gepflegten älteren Mann werden?
Die Jugend kam nicht mehr. Was da heranwuchs, kannte ihn nicht. Seine Gefolgschaft aus der Pfadfinderzeit hatte der Krieg an alle Fronten zerstreut. Feldpostbriefe trafen ein, dann nur noch Feldpostkarten, und eines Tages erhielt Greff über Umwege die Nachricht, daß sein Liebling, Horst Donath, erst Pfadfinder, dann Fähnleinführer beim Jungvolk, als Leutnant am Donez gefallen war.
Greff alterte von jenem Tage an, gab wenig auf sein Äußeres, verfiel gänzlich der Bastelei, so daß man in dem Gemüseladen mehr Klingelmaschinen und Heulmechaniken sah als etwa Kartoffeln und Kohlköpfe. Freilich tat auch die allgemeine Ernährungslage das ihrige; der Laden wurde nur selten und unregelmäßig beliefert, und Greff war nicht gleich Matzerath in der Lage, auf dem Großmarkt, Beziehungen spielen lassend, einen guten Einkäufer abzugeben.
Traurig sah der Laden aus, und eigentlich hätte man froh sein müssen, daß Greffs sinnlose Lärmapparate den Raum zwar auf skurrile, dennoch dekorative Weise schmückten und füllten. Mir gefielen die Produkte, die Greffs immer krauser werdendem Bastlerhirn entsprangen. Wenn ich mir heute die Bindfadenknotengeburten meines Pflegers Bruno ansehe, fühle ich mich an Greffs Ausstellung erinnert. Und genau wie Bruno mein gleichviel lächelndes wie ernstes Interesse an seinen künstlichen Spielereien genießt, freute sich Greff auf seine zerstreute Art, wenn er bemerkte, daß mir die eine oder andere Musikmaschine Vergnügen bereitete. Er, der sich jahrelang nicht um mich gekümmert hatte, zeigte sich enttäuscht, wenn ich nach einem halben Stündchen seinen zur Werkstatt gewandelten Laden verließ und seine Frau, Lina Greff, aufsuchte.
Was soll ich Ihnen viel von jenen Besuchen bei der Bettlägerigen erzählen, die meistens zwei bis zweieinhalb Stunden dauerten. Trat Oskar ein, winkte sie vom Bett her: »Ach du best es, Oskarchen.
Na komm beßchen näher und wenn de willst inne Federn, weil kalt is inne Stube und der Greff nur janz mies jehaizt hat!« So schlüpfte ich zu ihr unter das Federbett, ließ meine Trommel
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