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Die Blechtrommel

Die Blechtrommel

Titel: Die Blechtrommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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seine beiden gespreizten Hände eine Million umfaßten, weiterzählend einen Finger nach dem anderen zu köpfen. Als man das Thema russische Kriegsgefangene, die durch die wachsende Summe immer wertloser und uninteressanter wurden, erschöpft hatte, erzählte Scheffler von den U-Booten in Gotenhafen, und Matzerath flüsterte meiner Großmutter Anna ins Ohr, daß bei Schichau jede Woche zwei Unterseeboote vom Stapel zu laufen hätten. Hierauf erklärte der Gemüsehändler Greff allen Taufgästen, warum Unterseeboote mit der Breitseite und nicht mit dem Heck zuerst vom Stapel laufen müßten. Er wollte es anschaulich bringen, hatte für alles Handbewegungen, die ein Teil der Gäste, die vom U-Bootbau fasziniert waren, aufmerksam und ungeschickt nachmachten. Vinzent Bronski warf, als seine linke Hand einem tauchenden U-Boot gleichen wollte, sein Bierglas um. Meine Großmutter wollte deswegen mit ihm schimpfen. Aber Maria beschwichtigte sie, sagte, das mache nichts, das Tischtuch komme sowieso morgen in die Wäsche; daß es beim Taufessen Flecken gebe, sei doch natürlich. Da kam auch schon Mutter Truczinski mit einem Lappen, tupfte die Bierlache weg und hielt links die große Kristallschüssel voller Schokoladenpudding mit Mandelsplittern.
    Oh, hätte es doch eine andere Soße oder überhaupt keine Soße zu dem Schokoladenpudding gegeben!
    Aber es gab Vanillesoße. Dickflüssig, gelbflüssig: Vanillesoße. Eine ganz banale, gewöhnliche und dennoch einzigartige Vanillesoße. Es gibt wohl nichts Fröhlicheres, aber auch nichts Trauriges auf dieser Welt als eine Vanillesoße. Sanft roch die Vanille vor sich hin und umgab mich mehr und mehr mit Maria, so daß ich sie, die aller Vanille Anstifterin war, die neben dem Matzerath saß, die dessen Hand mit ihrer Hand hielt, nicht mehr sehen und ertragen konnte.
    Von seinem Kinderstühlchen rutschte Oskar, hielt sich dabei am Rock der Greffschen fest, blieb ihr, die oben löffelte, zu Füßen liegen und genoß zum erstenmal jene, der Lina Greff eigene Ausdünstung, die jede Vanille sofort überschrie, verschluckte, tötete.
    So säuerlich es mich auch ankam, verharrte ich dennoch in der neuen Geruchsrichtung, bis mir alle mit der Vanille zusammenhängenden Erinnerungen betäubt zu sein schienen. Langsam, lautlos und krampflos überkam mich ein befreiender Brechreiz. Während mir die Mockturtlesuppe, stückweise der Schweinebraten, nahezu unversehrt die grünen Büchsenerbsen und jene paar Löffelchen Schokoladenpudding mit Vanillesoße entfielen, begriff ich meine Ohnmacht, schwamm ich in meiner Ohnmacht, breitete sich Oskars Ohnmacht zu Füßen der Lina Greff aus — und ich beschloß von nun an und tagtäglich, meine Ohnmacht zu Frau Greff zu tragen.
    FÜNFUNDSIEBENZIG KILO
    Vjazma und Brjansk; dann setzte die Schlammperiode ein. Auch Oskar begann, Mitte Oktober einundvierzig kräftig im Schlamm zu wühlen. Man mag mir nachsehen, daß ich den Schlammerfolgen der Heeresgruppe Mitte meine Erfolge im unwegsamen und gleichfalls recht schlammigen Gelände der Frau Lina Greff gegenüberstelle. Ähnlich wie sich dort, kurz vor Moskau, Panzer und LKW's festfuhren, fuhr ich mich fest; zwar drehten sich dort noch die Räder, wühlten den Schlamm auf, zwar gab auch ich nicht nach — es gelang mir wortwörtlich im Greffschen Schlamm Schaum zu schlagen — aber von Geländegewinn konnte weder kurz vor Moskau noch im Schlafzimmer der Greffschen Wohnung gesprochen werden.
    Immer noch nicht mag ich diesen Vergleich aufgeben: wie künftige Strategen damals aus den verfahrenen Schlammoperationen ihre Lehre gezogen haben werden, zog auch ich aus dem Kampf gegen das Greffsche Naturereignis meine Schlüsse. Man soll die Unternehmungen an der Heimatfront des letzten Weltkrieges nicht unterschätzen. Oskar war damals siebzehn Jahre alt und wurde trotz seiner Jugend im tückisch unübersichtlichen Übungsgelände der Lina Greff zum Manne herangebildet.
    Die militärischen Vergleiche aufgebend, messe ich jetzt Oskars Fortschritte mit künstlerischen Begriffen, sage also: Wenn mir Maria im naiv betörenden Vanillenebel die kleine Form nahelegte, mich mit Lyrismen wie Brausepulver und Pilzsuche vertraut machte, kam ich im streng säuerlichen, vielfach gewobenen Dunstkreis der Greffschen zu jenem breit epischen Atem, der mir heute erlaubt, Fronterfolge und Betterfolge in einem Satz zu nennen. Musik! Von Marias kindlich sentimentaler und dennoch so süßer Mundharmonika direkt aufs Dirigentenpult; denn

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