Die Blechtrommel
Hätte der Scheffler nur in jenen Jahren dann und wann die Finger aus dem Mehl gezogen und die Semmeln der Backstube gegen ein anderes Semmelchen vertauscht. Das Gretchen hätte sich gerne von ihm kneten, walken, einpinseln und backen lassen. Wer weiß, was aus dem Ofen herausgekommen wäre? Am Ende etwa doch noch ein Kindchen. Es wäre dem Gretchen diese Backfreude zu gönnen gewesen.
So aber saß sie nach angeregtester Rasputinlektüre mit feurigem Auge und leicht wirrem Haar da, bewegte ihre Gold-und Pferdezähne, hatte aber nichts zu beißen, sagte achgottachgott und meinte den uralten Sauerteig. Da Mama, die ja ihren Jan hatte, dem Gretchen nicht helfen konnte, hätten die Minuten nach diesem Teil meines Unterrichtes leicht unglücklich enden können, wenn das Gretchen nicht ein so fröhliches Herz gehabt hätte.
Schnell sprang sie dann in die Küche, kam mit der Kaffeemühle wieder, nahm die wie einen Liebhaber, sang, während der Kaffee zu Schrot wurde, wehmütig leidenschaftlich und von Mama unterstützt »Schwarze Augen« oder »Der rote Sarafan«, nahm die schwarzen Augen in die Küche mit, setzte dort Wasser auf, lief, während sich das Wasser auf der Gasflamme erhitzte, hinunter in die Bäckerei, holte dort, oft gegen Schefflers Einspruch, Frisch-und Altgebackenes, deckte das Tischchen mit geblümten Sammeltassen, Sahnekännchen, Zuckerdöschen, Kuchengabeln und streute Stiefmütterchen dazwischen, goß dann den Kaffee ein, lenkte zu Melodien aus dem »Zarewitsch« über, reichte Liebesknochen, Bienenstiche, Es steht ein Soldat am Wolgastrand, und mit Mandelsplittern gespickten Frankfurter Kranz, Hast du dort droben viel Englein bei dir," auch Baiser mit Schlagsahne so süß, so süß; und kauend kam man wieder, doch jetzt mit dem nötigen Abstand, auf Rasputin zu sprechen, konnte sich alsbald, nach kurzer, kuchengesättigter Zeit ehrlich über die so schlimme und abgrundtiefverdorbene Zarenzeit entrüsten.
Ich aß in jenen Jahren entschieden zuviel Kuchen. Wie man auf Fotos nachprüfen kann, wurde Oskar davon zwar nicht größer, aber dicker und unförmig. Oft wußte ich mir nach allzu süßen Unterrichtsstunden im Kleinhammerweg nicht anders zu helfen, als daß ich im Labesweg hinter dem Ladentisch, sobald Matzerath außer Sicht war, ein Stück trockenes Brot an einen Bindfaden band, in das norwegische Fäßchen mit eingelegten Heringen tunkte und erst herauszog, wenn das Brot von der Salzlauge bis zum Überdruß durchtränkt war. Sie können sich nicht vorstellen, wie nach dem unmäßigen Kuchengenuß dieser Imbiß als Brechmittel wirkte. Oftmals gab Oskar, um abzunehmen, auf unserem Klosett für über einen Danziger Gulden Kuchen aus der Bäckerei Scheffler von sich; das war damals viel Geld.Mit noch etwas anderem mußte ich dem Gretchen die Unterrichtsstunden bezahlen. Sie, die so gerne Kindersachen nähte und strickte, machte mich zur Ankleidepuppe.
Kittelchen, Mützchen, Höschen, Mäntelchen mit und ohne Kapuzen mußte ich mir in jeder Machart, in allen Farben, aus wechselnden Stoffen anpassen und gefallen lassen.
Ich weiß nicht, ob es Mama, ob es Gretchen war, die mich anläßlich meines achten Geburtstages in einen kleinen, erschießenswerten Zarewitsch verwandelte. Damals erreichte der Rasputinkult der beiden Frauen seinen Höhepunkt. Ein Foto jenes Tages zeigt mich neben dem Geburtstagskuchen, den acht nicht tropfende Kerzen umzäunten, in besticktem Russenkittel, unter keß schief sitzender Kosakenmütze, hinter gekreuzten Patronengurten, in gepluderten weißen Hosen und kurzen Stiefeln stehend.
Ein Glück, daß meine Trommel mit ins Bild durfte. Welch weiteres Glück, daß Gretchen Scheffler, womöglich auf mein Drängen hin, mir ein Kostüm zuschnitt, nähte, schließlich verpaßte, das biedermeierlich und wahlverwandt genug, heute noch in meinem Fotoalbum den Geist Goethes beschwört, von meinen zwei Seelen zeugt, mich also mit einer einzigen Trommel in Petersburg und Weimar gleichzeitig zu den Müttern hinabsteigen, mit Damen Orgien feiern läßt.
FERNWIRKENDER GESANG VOM STOCKTURM AUS GESUNGEN
Fräulein Dr. Hornstetter, die fast jeden Tag auf eine Zigarettenlänge in mein Zimmer kommt, als Ärztin mich behandeln sollte, doch jedesmal von mir behandelt weniger nervös das Zimmer verläßt, sie, die so scheu ist und eigentlich nur mit ihren Zigaretten näheren Umgang pflegt, behauptet immer wieder: ich sei in meiner Jugend kontaktarm gewesen, habe zu wenig mit anderen Kindern
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