Die Bleiche Hand Des Schicksals
kurz, ob jemand unter den Rumschmugglern erfahren genug war, um zu wissen, dass man im Heu kein offenes Feuer entzündete. »Wer hat die Verantwortung?«, rief sie.
An der Kante des Heubodens über ihr erschien ein Mann. Sie konnte sein Gesicht nicht erkennen, aber er trug einen modischen Stadthut, der ebenso fehl am Platz wirkte wie sie in einer Flüsterkneipe am Broadway. »Sie müssen die Missus sein«, sagte er.
»Mein Mann hat unsere Pferde angeschirrt, um in die Stadt zu fahren und den Doktor zu holen. Er bricht sofort auf. Er kommt zurück, sobald er Dr. Stillman gefunden hat. Er geht nirgendwo anders hin, nur zu Dr. Stillman, und er wird sie mit Sicherheit nicht an die Polizei verpfeifen.«
»Keiner geht irgendwohin.«
Sie blickte durch das Dämmerlicht nach oben. »Ich werde mir nicht den Hals verrenken, um mit Ihnen zu streiten. Kommen Sie runter und reden Sie mit mir.«
Der Mann lachte, aber er stieg die Leiter hinunter, wobei er darauf achtete, seinen Anzug nicht an den Sprossen zu verschmutzen. Sie war überrascht, als er ihr gegenüberstand. Er war jünger als sie und wirkte so nüchtern und respektabel wie Dr. Fillmore, der presbyterianische Pastor. Nur seine Stimme verriet ihn. »Hier bin ich, Lady. Sie können mich hier herunterzitieren, aber Ihr Mann geht nirgendwohin.«
»Eins meiner Kinder ist schwerkrank. Er braucht einen Arzt. Mehr ist nicht dran.«
»Die Straßen wimmeln von Polizei. Niemand verlässt den Heuschober, ehe ich es sage.«
»Mein Sohn braucht einen Arzt.«
»Er auch.« Er sah nach hinten in die Scheune. »He, Ted, bring Etienne her.« Zwei weitere Männer kamen hinter einem alten Einspänner hervor, die einen dritten zwischen sich trugen. Das Hemd des jungen Mannes – kaum mehr als ein Junge – stand offen, Brustkorb und Schultern waren von blutigen Verbänden verhüllt. Die Männer, die ihn hielten, trugen Schulterhalfter, in denen bösartig wirkende Handwaffen mit schwarzen Läufen steckten.
»Guter Gott.« Sie schlug die Hand vor den Mund.
»Wir holen keine Hilfe für Etienne, und wir holen keine Hilfe für Ihr Kind.« Er grinste sie an, das Lächeln eines Chorknaben, dessen schlimmste Sünde darin bestand, die Schule zu schwänzen, um Frösche zu fangen. »Machen Sie sich keine Sorgen, Kinder werden ständig krank. Und morgen Nacht sind wir verschwunden.«
»Morgen!« Bei den Worten riss sie ihre Aufmerksamkeit von dem verletzten Jungen los. »So lange können wir nicht warten.« Sie zupfte an ihrem Kleid, nahm sich zusammen. Immerhin waren sie Geschäftspartner. In gewisser Weise. Und sie konnte Geschäfte führen. »Selbst wenn mein Mann unterwegs auf die Polizei trifft, hat die keinen Anlass, ihn für etwas anderes zu halten, als er ist – ein Farmer auf dem Weg in die Stadt, um den Arzt zu holen. Wir wären verrückt, sie auszuliefern. Wir haben selbst das Gesetz gebrochen, indem wir Ihre Leute all diese Monate beherbergt haben. Glauben Sie wirklich, wir würden es riskieren, ins Gefängnis zu kommen?«
»Lady, vielleicht ist Ihnen nicht bewusst, dass Richter DeWeese unseren Fall verhandeln wird, wenn wir hier in Podunk County geschnappt werden. DeWeese mag uns Kavaliere nicht, wissen Sie. Erst letzten Monat hat er drei Kerle aus der Avenue B zu zehn Jahren Zwangsarbeit in Clinton verknackt.« Er grinste sie wieder an. Diesmal sah sie seine Zähne. »Meine Jungs und ich haben nicht vor, die nächsten zehn Jahre unseres Lebens beim Straßenbau und Schneeschaufeln zu schwitzen. Wir rühren uns nicht von der Stelle. Und Sie auch nicht.« Er ergriff ihren Oberarm, eine leichte, unbedrohliche Berührung, die ihr Gänsehaut verursachte. »Sie sind gute Gastgeber gewesen. Es würde mir nicht gefallen, Ihnen oder Ihrem Mann weh tun zu müssen.« Er führte sie zum Tor. »So, laufen Sie. Und sobald Sie uns los sind, können Sie den Arzt für Ihren kleinen Burschen holen.«
Er gab sie frei, und sie taumelte durch das Tor in den kalten Sonnenschein. Sie zwinkerte. Sie wirbelte herum, aber die Tür schlug vor ihrer Nase zu. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Sie ging ein paar Schritte in Richtung Kuhstall. Neben den breiten Stalltüren warteten Gig und Haley im Geschirr. Sollte sie aufspringen und davonreiten? Nein, das war lächerlich. Die beiden waren nicht so schnell wie eine Kugel. Sollte Jon sich nach hinten zum Wald schleichen? In den Bergen gab es Pfade, die nach Millers Kill führten. Aber Jon kannte sich in den Wäldern nicht aus. Sie blickte über die
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