Die Bleiche Hand Des Schicksals
»Wollten Sie auch mich um Verzeihung bitten? Ehe Sie das zweite Mal verschwinden?«
»Ich schulde Ihnen eine Erklärung«, sagte Rouse.
»Das denke ich auch.«
»Ihre Mutter hätte es verstanden. Wir sind uns in den Monaten vor ihrem Tod sehr nahegekommen. Kurz vor dem Ende hat sie sich mir anvertraut. Damit ich verstünde, was die Klinik ihr wirklich bedeutet hat. Sie war ein Werk der …« Er sah zu Clare hinüber. »Wie nennt man das, wenn man etwas tut, um eine begangene Sünde wiedergutzumachen?«
»Sühne. Buße. Entschädigung.«
»Das ist es. Lacey, für ihre Mutter war die Klinik eine Art, dafür zu büßen …«
»Wenn Sie mir sagen wollen, dass meine Mutter meinen Vater umgebracht hat, können Sie sich die Puste sparen.« Mrs. Marshall verschränkte die Arme. »Das weiß ich bereits.«
Dr. Rouse starrte sie an.
»Wir haben auf der Suche nach Ihrer Leiche Taucher in den Stewart’s Pond geschickt«, erklärte Russ. »Man hat Überreste geborgen, die vermutlich von Jonathon Ketchem stammen. Der Gerichtsmediziner hat einen Schlag mit einem stumpfen Gegenstand, einem breiten flachen Instrument, als Todesursache benannt.«
»Eine Bratpfanne«, murmelte Rouse.
»Ach«, seufzte Mrs. Marshall. »Also hatte Chief Van Alstyne recht.« Clare musterte die alte Frau, suchte nach Anzeichen von Schmerz oder Trauer, aber sie schien aus Rouses Bestätigung Kraft zu ziehen. Vielleicht entschädigte die Wiederherstellung des Gedenkens an ihren Vater sie für das Wissen, was ihre Mutter getan hatte.
»Aber Sie wissen nicht warum.« Dr. Rouses Ton gewann wieder an Sicherheit.
»Es gibt nicht viele Gründe, warum Eheleute ihren Gatten töten, und wir hören dieselben traurigen Geschichten wieder und wieder.« Russ schob sich auf dem Stuhl nach vorn, als wollte er aufstehen. »Eine davon zu wiederholen wird Mrs. Marshall nicht helfen. Und ihren Eltern hilft es mit Sicherheit auch nicht mehr.«
Dr. Rouse sah Mrs. Marshall unverwandt an. »Ich kenne den Grund«, sagte er. »Wollen Sie ihn wissen? Wollen Sie wissen, was ich mit mir herumtrage, seit Ihre Mutter mich zu ihrem heimlichen Komplizen machte? Gott weiß, wie müde ich es bin, dieses Wissen weiter mitzuschleppen.«
Clare sah sich im Zimmer um. Alle, einschließlich Officer Durkee, blickten zu der schlanken Frau an der Tür.
»Ja«, sagte Solace Ketchem Marshall. »Erzählen Sie es mir.«
39 Donnerstag, 13. März 1924
S ie kamen im silbrigen Licht kurz vor Tagesanbruch. Sie war früh aufgestanden, nach der ersten erholsamen Nacht seit drei Tagen, um nach Peter und Lucy zu sehen. Beide schliefen, bis auf die Knochen erschöpft von dem endlosen Husten, der gestern endlich den gesamten in ihren Kehlen klebenden Schleim herausbefördert hatte. Beide fühlten sich unter ihren Händen kühl an, und als sie geräuschlos das hintere Schlafzimmer verließ, wo sie die beiden in Quarantäne gesteckt hatte, dachte sie darüber nach, Jon zu den Norridges zu schicken. Mrs. Norridge füllte Zitronensaft in Flaschen ab, und Tee mit Honig und Zitrone würde den wunden Kehlen der Kinder guttun.
Am Küchenfenster blieb sie stehen, und da waren sie, drei Laster dieses Mal – drei! –, die im aufsteigenden Bodennebel kaum auszumachen waren. Sie bogen auf die Scheunenzufahrt ab und verschwanden im riesigen Heuschober.
Das Kratzen von Stiefeln an der Tür holte sie vom Fenster fort. Jon betrat die Küche und drückte ihr einen Kuss auf die Wange, ehe er den Brotkasten öffnete und einen halben Laib herausnahm. »Wie geht’s ihnen?«
Einen Augenblick dachte sie, er meinte die Männer in den Lastern. Dann besann sie sich. »Besser. Beide haben durchgeschlafen, und ich nehme an, dass sie auch in den nächsten Tagen viel Schlaf brauchen. Ich hatte gehofft, du könntest zu den Norridges laufen und Zitronensaft holen.« Sie ging zum Eiskasten und holte ein Stück Butter heraus. Sie stellte es neben ihn auf den Tisch und sah zu, wie er eine dicke Scheibe absäbelte und mit Butter bestrich. Er hatte vor dem morgendlichen Melken gern etwas im Magen.
»Sicher. Ich kann Jack mitnehmen. Dann musst du dich um einen weniger kümmern.«
Sie umarmte ihn. »Das würdest du? Danke.« Sie wandte sich ab, ihr Blick fiel aufs Fenster. »Sie sind wieder da. Drei Laster diesmal.«
»Oha. Sie verschieben vermutlich genug Schnaps, um die Flotte in New York City zu überschwemmen.« Er tätschelte ihr den Hintern, was sie immer zusammenfahren ließ, weil sie Angst hatte, jemand könnte sie dabei
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