Die Blendende Klinge
sollte.«
»Es gibt tausend andere Dinge, die Ihr mir noch sagen solltet!«
»Wenn Ihr Karris mitnehmt, um dagegen zu kämpfen, sind Eure Erfolgsaussichten um ein Vielfaches größer.«
»Das hätte ich mir auch selbst denken können. Sie ist eine sehr brauchbare Frau.«
»Und wenn sie mit Euch kommt, wird sie mit größter Wahrscheinlichkeit sterben.«
»Es musste ja einen Haken an der Sache geben, nicht wahr?«, bemerkte Gavin.
»Mir geht es nicht darum, die Sache mit einem Haken zu versehen; ich will Euch nur eine Chance geben.«
Er tat das mit einem Achselzucken ab. »›Mit größter Wahrscheinlichkeit‹ – wie in neunundneunzig Malen von hundert? Oder wie in zwei Malen von dreien?«
»Wenn ich sie mit Euch gehen sehe, sehe ich sie auf Dutzende verschiedene Arten sterben. Glaubt mir, das macht mir keinen Spaß. Vor allem, da ich weiß, dass wir wahrscheinlich eines Tages Freundinnen sein werden, wenn sie überlebt. Vorausgesetzt, Ihr treibt es nicht mit gewissen … Ihr wisst schon. Ich habe bereits zu viel gesagt.«
»Ihr habt Karris ›die Gattin‹ genannt«, erwiderte Gavin. »Aber dann habt Ihr gesagt, es sei nicht richtig. Was habt Ihr damit gemeint?«
»In dem Wissen, dass es die Dinge verändern wird, wenn Ihr es wisst, frage ich … wollt Ihr es wirklich wissen?«
Gavin blickte sie mürrisch an. »Nun ja, schon.«
»Ich sage es Euch aber nicht. Pech gehabt.«
»Eine schöne Wahrsagerin seid Ihr«, beklagte sich Gavin.
»Ich bin keine Wahrsagerin. Ich bin eine Seherin. Ich sehe; und manchmal sage ich, was ich sehe. Ich habe keinerlei Interesse daran, Euch ein beruhigendes Gefühl zu vermitteln.«
Und sie meinte es ernst. Gavin merkte erneut, wie hart sie sein konnte. Zweifellos war das die einzige Möglichkeit für sie, menschlich zu bleiben und mit ihrer Gabe zurechtzukommen.
»Karris mag es nicht, zurückgelassen zu werden, wenn ich mich in Gefahr begebe.«
»Ihr habt mir fünfzigtausend Probleme gebracht, Lord Prisma. Dieses jedoch gehört nicht dazu.«
Gut gekontert. Er setzte zu einer spitzen Erwiderung an, besann sich dann jedoch eines Besseren. »Meine Liebe, Euer Geist ist so scharf, wie Eure Schönheit blendend ist. Da das Licht Euch so offenkundig mit seiner Gegenwart gesegnet hat, ist das Beste, was ich tun kann, Euch mit meiner Abwesenheit zu segnen. Guten Tag!«
Er verneigte sich und ging. Er war nur wenige Schritte weit gekommen, als er glaubte, sie etwas murmeln zu hören. Er warf einen Blick über die Schulter und hätte schwören können, dass er sie soeben dabei ertappt hatte, wie sie ihn anstarrte, und zwar genau …
Sie machte einen Schmollmund, und ein Ausdruck der Betroffenheit lag für einen Moment in ihrem Blick. »Ich kann das Ende der Welt voraussehen, aber ich kann nicht voraussehen, wann mich ein Mann dabei erwischt, wie ich seinen wohlgeformten Hintern anstarre.«
Gavin konnte nichts anderes tun, als sich würdevoll zurückzuziehen, wobei er sich bei jedem Schritt auf seltsame Weise seines Hinterteils bewusst war.
46
Der Farbprinz hatte Garriston nach sechs Wochen verlassen wollen. Es hatte acht gedauert. Liv wusste, dass direkt unter ihren Augen mächtige Strömungen dahinflossen, von denen sie nicht das Geringste bemerkte – obwohl sie die Hälfte ihrer wachen Zeit mit dem Farbprinzen verbrachte. Als eine Ultraviolette, die es gewohnt war zu sehen, was andere nicht sahen, fand sie das beunruhigend.
Eines Tages wurde ein General an dem offenen Fallgitter des Travertin-Palastes aufgehängt vorgefunden. Liv erfuhr erst im Nachhinein, dass er sich dafür ausgesprochen hatte hierzubleiben, zufrieden damit, Tyrea zurückgewonnen zu haben und sich jetzt in diesem Land niederzulassen.
Als der Farbprinz an diesem Tag Hof gehalten hatte, hatte er als Erstes gesagt: »Solange es noch irgendwo Unterdrückung gibt, gibt es nirgendwo Freiheit.«
Liv hörte diese Feststellung an diesem Tag ein Dutzend Mal und auch am nächsten Tag, dem Tag ihres Abmarsches. Nun war der Farbprinz über Wochen hinweg zu sehr beschäftigt, um sich ihr widmen zu können; er verbrachte all seine Zeit mit seinen militärischen Befehlshabern. Liv blieb außen vor, und das sowohl im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. Sie ritt in der Nähe der Spitze, aber nicht zusammen mit den Kommandanten und den Beratern. Sie war sich nicht sicher, wo sie ihren Platz hatte, und alle anderen genauso wenig.
Die Frauen und Männer, die den Prinzen begleiteten, seit er Kelfing verlassen
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