Die Blendende Klinge
Generationen. Besonders kräftig brennende Lichter werden allzu bald ausgelöscht. So wird es jedenfalls erzählt. Also, welche Farben hast du gewandelt?«
»Warum wollt Ihr das wissen?«
»Weil ich gerade deine Karte anfange.«
Sie sprach entweder in einer fremden Sprache oder redete Unsinn. Kip klopfte sich mit den Knöcheln an die Stirn.
»Ich habe eine Gabe«, fuhr Janus Borig fort. »Eine sehr, sehr merkwürdige Gabe. Ganz ungewöhnlich. Ich habe natürlich auch eine Menge von Gaben, die einigermaßen normal sind, wenn auch nicht völlig normal. Und eine Gabe, die so selten ist wie die eines Prismas.«
»Dann wollt Ihr mir jetzt sicher sagen, welche das ist«, meinte Kip.
Jemand erzählt dir etwas Interessantes, und du fährst gleich mit deiner großen Klappe dazwischen …
Aber sie lachte. »Grün natürlich. Aber auch Blau. Was sonst noch? Du bist mehr als nur ein Bichromat, da bin ich mir sicher.«
So wollte sie das Spiel also spielen?
»Ihr könnt malen«, sagte Kip. »Ihr seid eine sehr gute Malerin, und Ihr seid auch eine Juwelierin. Ihr könnt einen Stein fein genug spalten, um ihn in Eure Karten einzupassen.«
Sie kicherte. Rauchte. »Die Sache ist wohl die, dass dieses Spiel für mich viel einfacher ist als für dich. Ich habe bloß acht Farben zum Raten übrig, und es kann durchaus sein, dass du noch mehr als nur eine davon wandeln kannst. Dir dagegen stehen alle ungewöhnlichen Fähigkeiten der Welt zur Wahl.«
Noch acht Farben übrig? Zehn Farben insgesamt? Wovon zum Teufel redete sie? »Ihr zieht mich auf«, sagte Kip.
»Vielleicht werden wir einander eines Tages gut genug kennen, dass du das herausfinden kannst«, entgegnete sie. »Rauchen?«
Hä? »Infrarot«, erklärte Kip, der dachte, dass sie riet, was er wohl wandeln konnte.
Sie ließ ihre Pfeife sinken. Oh, sie hatte ihm angeboten, aus ihrer Pfeife zu rauchen. Aber jetzt sagte sie schnell: »Hast du Infrarot gewandelt oder Feuer?«
»Ist dasselbe«, erwiderte Kip.
»Beantworte die Frage.«
»Feuer.«
»Weißt du, ein Konzept kann durchaus brauchbar sein, ohne deshalb gleich wahr zu sein. Du kannst Infrarot sehen?«
»Ja«, erwiderte Kip. Plötzlich war er sich nicht mehr sicher, warum er hergekommen war. Aus Neugier? Vielleicht war das kein wirklich guter Grund gewesen.
»Kannst du Ultraviolett sehen?«, fragte sie weiter.
Er nickte unwillig. Er wusste nicht einmal, warum es ihm widerstrebte, ihr weitere Informationen zu geben.
»Willst du ein Prisma sein, Kip?«
Es war, als hätte sie ganz den Bogen heraus, genau jene Fragen zu stellen, die er sich selbst nicht stellen wollte. »Darüber macht sich wahrscheinlich jeder so seine Gedanken«, wich Kip aus.
»Du weißt nicht, ob du es wirklich willst oder nicht. Ein Teil von dir will es, aber du denkst nicht, dass du jemals so ein Mann wie dein Vater sein könntest.«
»Das ist verrücktes Gerede«, sagte Kip. Er schluckte.
»Nein, ist es nicht. Ich kenne verrücktes Gerede. Ich kenne es gut. Ich bin ein Schöpfer. Wir sind keine bloßen Künstler; wir sind die Hüter der Geschichte. Die Karten sind Geschichte. Jede einzelne erzählt eine Wahrheit, eine Geschichte. Die schwarzen Karten erzählen Geschichte, die unterdrückt worden ist, weil diese Geschichte bedrohend …« Sie blickte zur Decke, dachte nach und suchte nach dem richtigen Wort. Sie gab es auf. »Nun ja, diese Geschichte bedroht. Mach dir selbst deinen Reim darauf.« Sie rauchte und dachte nach.
»Was ich dir gleich erzählen werde, ist Ketzerei. Wiederhole es niemandem gegenüber, wenn dir dein Leben lieb ist. Es ist Ketzerei, aber wahr. Nimm diese Worte und begrabe sie in dir, halte sie in Ehren. Es gibt sieben Große Gaben, Kip. Einige sind ganz gewöhnlich. Andere werden in jeder Generation nur einem Menschen verliehen oder nur einem Menschen in einem Jahrhundert. Licht ist Wahrheit, und das ist das Fundament, auf dem all die Gaben ruhen, das Fundament, mit dem sie verbunden sind. Mit Licht, mit Wahrheit, mit Wirklichkeit. Ein Wandler zu sein – ein Mensch, der mit Licht arbeitet – ist eine große Gabe, aber eine relativ gewöhnliche. Ein Prisma zu sein ist eine andere. Ein Seher zu sein, der das Wesen der Dinge sieht, das ist viel seltener. Meine Gabe ist ebenfalls selten: Ich bin ein Spiegel. Meine Gabe besteht darin, dass ich keine Lüge malen kann. Und meine Gabe sagt mir, dass dein Vater zwei Geheimnisse hat. Du, Kip, bist keines von beiden.«
45
»Also, wie heißt Ihr nun wirklich?«,
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