Die Blendende Klinge
hatte, trauten ihr nicht. Sie war die Tochter des Generals des Feindes. Wieder einmal. Wie sie das ergrimmte. Mit seinem Seitenwechsel hatte ihr Vater es geschafft, dass sie nun auch bei der Gegenseite derjenigen als Ausgestoßene galt, die sie ihre ganze Jugend hindurch als eine solche behandelt hatten.
Nachdem sie zwei Wochen unterwegs waren, ließ der Farbprinz sie eines Abends in sein Zelt kommen, das demonstrativ klein und schlicht war. Ein Mann des Volkes. Liv fragte sich, wie derart durchsichtige Tricks funktionieren konnten. Aber sie funktionierten.
»Also, Aliviana, seid Ihr Euch inzwischen darüber im Klaren, was Eure Aufgabe ist?«, fragte er.
»Ihr habt nur etwa ein halbes Dutzend Ultraviolette in Eurer ganzen Armee. Und ich bin vielleicht die beste von ihnen. Ich weiß, dass Ihr noch mehr Ultraviolette haben wollt, und Ihr seid auf der Suche nach einer Testmöglichkeit, um Ultraviolette zu identifizieren. Eure Methoden sind primitiv im Vergleich zu denen der Chromeria. Das allgemeine Niveau Eurer Wandler ist sehr niedrig, und Ihr hofft, dass die Perspektiven, die ich zu eröffnen vermag, für Euch vielleicht von Wert sind. Letzteres ist reine Spekulation, aber ich denke, es ließen sich gute Gründe dafür anführen. Also glaube ich, dass Ihr wollt, dass ich Eure Ultravioletten ausbilde.«
In der Chromeria hatten die Magister ihre Scholaren ständig davor gewarnt, sich zu sehr auf ihr Luxin zu verlassen, wenn es darum ging, ihren Gedanken und Gefühlen eine Gestalt zu verleihen. Hier wurde man umgekehrt regelrecht dazu ermuntert, und Liv war sich noch nicht sicher, welche Herangehensweise die bessere war. Wenn man, wie es die Lehre der Chromeria behauptete, durch das Wandeln förmlich sein Leben verbrannte, schien es vernünftig, jungen Wandlern beizubringen, nur dann zu wandeln, wenn es wirklich sein musste. Aber es war Liv nie klar gewesen, dass diese Verbote rein praktische Ursachen hatten. Für sie waren es vielmehr moralische Ermahnungen gewesen, als sei Luxin Wein und als seien jene, die sich ihm völlig hingaben, moralisch schwach.
Wenn dem so war, dann war sie schwach. Aber das Ultraviolett schenkte ihr Klarheit und schob ihre Gefühle der Unzulänglichkeit und Einsamkeit beiseite. Sie setzte Ultraviolett und dann Gelb ein, um Probleme in ihre Bestandteile zu zerlegen, sie von neuen Winkeln her zu untersuchen und direkt durch sie hindurchzublicken, und das machte sie ständig.
Der Farbprinz schenkte sich etwas Branntwein ein, streckte einen Finger hoch, sah zu, wie er mattrot aufglühte, und hielt ihn an seinen Zigarro. »Das ist alles, was Ihr mir zu sagen wisst?«
»Ihr wart Koios Weißeiche«, erwiderte Liv. Karris Weißeiches angeblich toter Bruder.
»Vergangenheitsform?«, fragte er grimmig in seinen Branntwein hinein.
Sie hatte keine Antwort.
»Wie habt Ihr es herausgefunden?«, hakte er nach.
»Ich habe gefragt«, gab sie zu. Es war nicht direkt geniales Schlussfolgern gewesen, was sie darauf gebracht hatte.
»Und was verrät Euch diese Erkenntnis?«, wollte er wissen.
»Nicht so viel, wie ich gehofft hatte.«
Er leerte den Rest seines Glases in einem Zug. »Kommt mit.«
Sie schritten im schwachen Licht des umwölkten Mondes und Tausender Feuer durch das Feldlager. Sobald der Farbprinz aus dem Zelt getreten war, schlossen sich ihnen zwei Wandler und zwei in Weiß gekleidete Soldaten an.
»Die Weiße Garde?«, schlug Liv vor. Es erweckte den Eindruck, dass hier jemand verzweifelt ernst genommen werden wollte. Es wirkte wie eine Verhöhnung des Prismas.
»Gibt es nicht auch in der Natur Spiegel?«, erwiderte er. Er schien ihre Gedanken lesen zu können. »Es hat bereits vier Anschläge auf mein Leben gegeben. Einen davon durch einen meiner ehemaligen Generäle. Drei durch Unbekannte. Licht kann nicht in Ketten gelegt werden, aber die Chromeria hofft, dass es ausgelöscht werden kann.«
Das Lager war inzwischen geordneter als beim Marsch gegen Garriston. Übung, vermutete Liv. Die meisten bemerkten nicht einmal, dass da ihr Anführer des Weges kam, und jene, die es taten, schienen nicht zu wissen, wie sie ihn grüßen sollten. Einige verneigten sich. Einige warfen sich der Länge nach zu Boden. Einige salutierten mit einem militärischeren Gruß.
»Die Blauen wollen, dass ich eine einheitliche Reaktionsweise auf mein Erscheinen einführe«, sagte der Prinz mit seinem Zigarro im Mund. »Aber ich will nur die Ordnung durchsetzen, die wirklich notwendig ist. Zur Führung einer
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