Die Blendende Klinge
wandte er sich um und betrachtete die Frauen und Kinder. Sein Blick war traurig, aber bestimmt. Er würde diese Menschen in ihren Tod laufen lassen, sie als Schilder für das Leben seiner eigenen Leute benutzen, und dann würde er dem Corregidor die Schuld dafür geben.
Falls es ein Bluff war, so war es der dreisteste Bluff, den Liv je erlebt hatte. Aber sie hielt es nicht für einen Bluff. Und sie wusste, dass es der Corregidor genauso wenig tat. In seinem Gesicht arbeitete es. Der Ausdruck von Entsetzen wurde allmählich abgelöst von Abscheu, Erstaunen und schließlich Resignation. Er stand hier keinem Menschen gegenüber, sondern einer Naturgewalt. Man braucht nicht zu versuchen, einen Zyklon umzustimmen, man braucht einen Hurrikan nicht um Gnade anzuflehen. Man macht einfach die Schotten dicht und versucht, den Sturm zu überstehen. Betet darum zu überleben.
»Wir haben nicht einmal annähernd eine Million Danare«, sagte der Corregidor, und da wusste Liv, dass er kapituliert hatte.
»Nicht in Eurer Schatzkammer, nein. Ihr werdet sämtliche reichen und adligen Familien in Eurer Stadt wissen lassen, dass sie als Erste sterben werden, wenn sie nicht ihren Anteil zahlen. Was den Proviant betrifft, werden wir Ersatzleistungen akzeptieren. Ich stelle keine unzumutbaren Forderungen. Möglich, dass Ihr nicht genug Gerste habt. Dann könnt Ihr stattdessen anderes Getreide liefern. Und mit dem Obst könnte es Probleme geben, wenn Ihr Euch nicht beeilt. Wir nehmen keine verdorbene Ware. Für jeden Wagen zu wenig werden wir eine Eurer Adelsfamilien töten.«
Der Corregidor erbleichte. »Ich muss natürlich die Stadtmütter von alledem in Kenntnis setzen. Das wird vermutlich zwei Tage dauern.«
»Nach einem Tag werden wir unsere Katapulte aufstellen. Wir werden jede Viertelstunde eine Frau aus Ergion über Eure Stadtmauern schleudern. Wir hören erst auf, wenn die Luxiaten bei uns eintreffen. Ich weiß, dass unsere Katapulte in Reichweite Eurer Kanonen sein werden, daher lasst Euch bitte gesagt sein, dass auch die anderen Frauen und Kinder von Ergion um die Katapulte herum ihr Lager haben werden. Eure Kanoniere sind nur schlecht ausgebildet. Sie werden es auf keinen Fall schaffen, unsere Katapulte mit dem ersten Schuss zu treffen – nicht einmal mit dem zehnten.«
Der Corregidor schluckte. »Ich verstehe.«
»Meine Leute werden Listen aushängen, auf denen die Namen der Frauen in der Reihenfolge aufgeführt sind, in der wir sie über Eure Mauern schleudern werden, so dass die Menschen in Idoss wissen, wann sie dem Tod ihrer Freundinnen lauschen können. Wir beginnen mit denjenigen Frauen, von denen wir wissen, dass sie Bekannte der Stadtmütter sind. Meine Katapultmannschaften haben mir mitgeteilt, dass die Spannung der Schleudernetze so groß ist, dass wahrscheinlich die Hälfte der Frauen bereits vor dem Abschuss zu Tode kommt. Ich habe sie angewiesen, das zu ändern. Ich will, dass Ihr ihre Schreie hört, wenn sie durch die Luft fliegen.«
Kata Ham-haldita fluchte leise und ging. Er warf einen verstohlenen Blick auf Liv und sah dann verschämt weg.
»Das war jetzt alles?«, fragte Liv, als er gegangen war. Davor hätte sie nicht zu fragen gewagt. Sie war zu ängstlich, zu eingeschüchtert. Aber nun wollte sie die Gelegenheit nicht versäumen, vom Besten zu lernen.
Der Prinz hatte seinen Blick immer noch auf die Frauen und Kinder gerichtet. Die Kinder spielten zusammen, kreischten und zankten sich, ohne etwas von ihrem vermutlich unmittelbar bevorstehenden Tod zu ahnen.
»Höchstwahrscheinlich«, antwortete der Farbprinz. »Alles hängt davon ab, wie schlau der junge Kata ist. Eine der Stadtmütter ist eine gerissene alte Keifzunge namens Neta Delucia. Die Leibwächter gehörten zu ihren Leuten. Wenn Kata nicht aufpasst, hat er soeben sein eigenes Todesurteil unterzeichnet, indem er sich ohne sie auf ein Gespräch mit mir eingelassen hat. Sie wird auf der Stelle wissen, dass ich ihm einen Handel angeboten habe, der ihm die Haut rettet. Und ich habe Mutter Delucias Feinde ganz oben auf die Liste der Frauen setzen lassen, die getötet werden sollen. Und ihre Freundinnen direkt dahinter. Die Mutter und der Corregidor werden sich einen Kampf liefern. Wenn Mutter Delucia siegt, werden wir eine Handvoll Frauen in die Stadt schleudern, und plötzlich wird Idoss Vernunft annehmen. Wenn Kata siegt, wird es kürzer oder länger dauern, je nachdem, wie entschlossen er vorgeht.«
»Und Ihr werdet in jedem Fall als
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