Die Blendende Klinge
nannten sich die Blutröcke.
Livs Stellung ermöglichte es ihr, jene Nacht in den Privatgemächern eines Edelmanns von Idoss zu verbringen. Sie betrank sich, und als Zymun nach Mitternacht wieder einmal an ihre Tür klopfte, schickte sie ihn nicht weg.
73
»Ihr werdet sie mir wegnehmen, nicht wahr?«, fragte Kip. Die Worte kamen roh und rau aus ihm heraus. Härter und schroffer als beabsichtigt.
»Was?«, fragte Gavin. Sein Blick verfinsterte sich.
Es war, als hätte Kip, solange Eisenfaust da gewesen war, der Kip sein können, der seine Schwarzgardistenausbildung machte. Der Kip, der ein paar unbedeutende Freundschaften hatte und allmählich anfing, das eine oder andere ganz gut hinzukriegen. Und nun, nachdem Eisenfaust angedeutet hatte, dass ihn Gavin aus der Schwarzen Garde herauszerren würde, kam alles wieder in ihm hoch. Nicht nur, dass er heute Abend fast umgebracht worden wäre und Janus Borig in seinen Armen gestorben war, sondern auch die Erinnerung, wie seine Mutter in seinen Armen gestorben war, verbittert und vorwurfsvoll. »Ich wusste es. Ich habe gewusst, wenn ich sie mir nicht gleich ansah, würde sie mir jemand stehlen. Ich hätte bloß nicht gedacht, dass Ihr das sein würdet.«
Kip wusste, dass es nicht die Karten waren, die ihn wütend machten – er war zornig über seine eigene Hilflosigkeit. Bevor Gavin Guile auf der Bildfläche erschienen war, um alles in seinen Sog zu ziehen, hatte Kip sein eigenes lausiges Leben in seiner eigenen lausigen Stadt mit seinen endlos lausigen Freunden gelebt. Seit Gavin Guile in sein Leben getreten war, hatte er sich immer gefühlt, als würde ihn jemand unter Wasser tauchen. Und nun war ihm auch die letzte Atemluft ausgegangen, und er verfiel in Panik, schlug wild um sich, und seine Schläge trafen den, der ihm gerade am nächsten war.
»Was machst du da?«, fragte Gavin.
»Was meint Ihr damit?«
»Warum führst du dich so auf? Vor ein paar Sekunden warst du noch vollkommen normal!«
»Ihr habt mich verlassen!«, fuhr Kip auf. Das Gefühl des Im-Stich-gelassen-Seins schnürte ihm plötzlich die Kehle zu, und das Schlucken fiel ihm schwer. Er hatte nicht einmal gewusst, dass er dieses Gefühl in seiner Seele trug, aber nun fühlte er sich schrecklich schwach, schutzlos ausgeliefert, bloßgestellt. Die Aussicht, dass Hauptmann Eisenfaust ihn für immer verlassen könnte, setzte ihm unglaublich zu – ihn so zu verlassen, wie auch alle anderen ihn verlassen hatten.
»Ich – wie bitte?!«
»Ihr habt mich hier zurückgelassen«, sagte Kip. Er begann bereits, vor seiner eigenen Dummheit zurückzuschrecken. Was sollte das? Gavin war gerade erst zurückgekommen, und Kip ließ sogleich seinen ganzen Unmut an ihm aus? Was hatte Kip eben erst zu Eisenfaust gesagt? Dass er erwachsen sei? »Es tut mir leid«, entschuldigte er sich. »Ich habe versagt. Ich habe nichts von dem erreicht, was Ihr von mir erbeten habt.« Er vermied den Blickkontakt mit Gavin. »Ihr habt gesagt, ich hätte sechs Monate, und die einzige Möglichkeit, etwas zu bewerkstelligen, die mir in den Sinn kam, war, mir Zutritt zu den verbotenen Teilen der Bibliothek zu verschaffen. Und die einzige Möglichkeit, das hinzubekommen, bestand darin, ein Schwarzgardist zu werden. Aber ich bin noch nicht so weit gekommen. Ich glaube, ich bin einfach nicht gut genug. Und ich habe auch bei Eurem Vater versagt. Er hasst mich.«
Gavin fluchte halblaut in sich hinein. »Ich wünschte, meine Mutter wäre hier«, sagte er dann unvermittelt. »Ich würde sie fragen … Kip, vermutlich gibt es nichts, was du hättest tun können, um bei meinem Vater gut anzukommen. Absolut nichts. Und was diese andere Sache betrifft … Wir hatten Pech, und der Farbprinz kommt schneller voran, als ich gedacht hätte. Trotzdem könnte es mir immer noch gelingen, jenes Hindernis zu umgehen, von dem wir damals gesprochen haben.«
»Also ist alles, was ich getan habe, völlig unwichtig gewesen?«
»Kip, in sehr kurzer Zeit wirst du einer der wichtigsten Pfeile in meinem Köcher sein. Aber du bist nicht der einzige. Orholam hilf, wenn es anders wäre.«
Es war ein Schlag in sein weinerliches, fünfzehnjähriges Gesicht. Und ein wohlverdienter noch dazu.
Gavin fluchte erneut. »So habe ich es nicht gemeint. Ich wollte sagen, ich kann das, was ich zu tun habe, nicht mit nur einer Waffe tun, wie scharf sie auch immer sein mag. Kip, du hast es wirklich verdient, dass ich mehr Zeit für dich habe, aber jetzt gerade habe ich
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